März 26, 2021

75 Jah­re Welt­ge­mein­schaft der Völ­ker

Haben die Indi­ge­nen Völ­ker auch etwas zu fei­ern?

Wer hät­te vor 75 Jah­ren gedacht, dass sich die Indi­ge­nen Völ­ker drei Gene­ra­tio­nen nach Grün­dung der Ver­ein­ten Natio­nen an der UNO Gehör ver­schaf­fen, obwohl 1945 die UNO gar nicht für alle Völ­ker auf­ge­stellt war.

Einzug der Indigenen Delegierten: aus Nord-, Mittel- und Südamerika zur ersten UNO Konferenz, die Indigene Rechte zum Thema hatte, die „International Conference on Discrimination Against Indigenous Populations in the Americas“, im September 1977

Ein­zug der Indi­ge­nen Dele­gier­ten: aus Nord‑, Mit­tel- und Süd­ame­ri­ka zur ers­ten UNO Kon­fe­renz, die Indi­ge­ne Rech­te zum The­ma hat­te, die „Inter­na­tio­nal Con­fe­rence on Dis­cri­mi­na­ti­on Against Indi­ge­nous Popu­la­ti­ons in the Ame­ri­cas“, im Sep­tem­ber 1977 (Foto: Jean-Fran­çois Graug­nard)

Zwar woll­te die UN-Char­ta die Grund­frei­hei­ten und Men­schen­rech­te aller Men­schen för­dern, aber an die spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­se von Völ­kern, die nicht gleich­zei­tig Natio­nal­staa­ten sind – spe­zi­ell außer­halb von Euro­pa und Nord­ame­ri­ka –, wur­de nicht gedacht. So war der Pro­zess lang, bis Indi­ge­ne von Feu­er­land bis Alas­ka oder von Syd­ney bis Sibi­ri­en ihre For­de­run­gen der Welt­öf­fent­lich­keit prä­sen­tie­ren und ver­lan­gen konn­ten, in die Völ­ker­ge­mein­schaft auf­ge­nom­men zu wer­den. 

Die UNO wur­de nicht gegrün­det, um uns den Him­mel zu brin­gen, son­dern um uns vor der Höl­le zu bewah­ren. 

Sir Win­s­ton Chur­chill

Die UN-Char­ta beginnt zwar mit den Wor­ten: «Wir, die Völ­ker». Aber bis in die 1970er Jah­re igno­rier­te die UNO die beson­de­ren Bedürf­nis­se Indi­ge­ner Völ­ker, die zuerst als «Min­der­hei­ten» behan­delt wur­den. Erst 1971 wur­den Indi­ge­ne in einer Stu­die über Ras­sen­dis­kri­mi­nie­rung erwähnt; trotz­dem muss­ten sie in Genf vor den Toren des Gen­fer Völ­ker­bund­pa­las­tes auf­mar­schie­ren und Ein­lass for­dern, bis die dama­li­ge Unter­kom­mis­si­on für die Ver­hü­tung von Dis­kri­mi­nie­rung und den Schutz von Min­der­hei­ten der Men­schen­rechts­kom­mis­si­on José R. Mar­tí­nez Cobo aus Ecua­dor zum Son­der­be­richt­erstat­ter ernann­te und ihn beauf­trag­te, die Lage der Indi­ge­nen Völ­ker zu unter­su­chen. Er zeich­ne­te ein erschüt­tern­des Bild von Völ­kern welt­weit, die von Aus­beu­tung und Armut betrof­fen waren[1]. Er war der ers­te UN-Exper­te, der die Indi­ge­nen als Völ­ker­rechts­sub­jek­te mit eige­nen Rech­ten beschrieb. 

Es war nicht so, dass die Indi­ge­nen gar nie ver­sucht hät­ten, an die UNO zu gelan­gen: Schon 1923 reis­te Des­ka­heh von den Cayu­ga im Auf­trag des Iro­ke­sen­bun­des nach Genf und ver­lang­te vom Völ­ker­bund die Aner­ken­nung der Eigen­stän­dig­keit der Six Nati­ons – er wur­de nicht vor­ge­las­sen. Die Hopi nah­men ab 1949 vier Mal Anlauf, ihre Frie­dens­bot­schaft und die War­nun­gen aus ihrer Pro­phe­zei­ung in New York im «gro­ßen Haus aus Glas, wo sich die Völ­ker tref­fen» zu depo­nie­ren. Erst am UN-Men­schen­rechts­tag (10. Dezem­ber) 1992 konn­te ihr letz­ter desi­gnier­ter Spre­cher Tho­mas Ban­ya­ca gemein­sam mit Onon­da­ga Grand Chief Oren Lyons ihre Bot­schaft ver­kün­den – lei­der nur vor einer Hand­voll Staatsvertreter*innen. Sie bedank­ten sich auch dafür, dass die UNO das Jahr 1993 zum Jahr der Indi­ge­nen Völ­ker bestimmt hatte[2]. Am glei­chen Tag erhielt die Qui­ché-Maya Rigo­ber­ta Men­chú Tum aus Gua­te­ma­la in Stock­holm den Nobel­preis für Frie­den, als ers­te Indi­ge­ne und als eine der weni­gen Frau­en. Oren Lyons erin­nert sich noch heu­te an den Tag, als die Indi­ge­nen erst­mals in New York Zugang zur UNO hat­ten: „Wie oft stan­den wir auf der ande­ren Sei­te der Stra­ße und wur­den von der Poli­zei dar­an gehin­dert, zum Ein­gang zu gelan­gen – und dies auf unse­rem Land; New York ist Mohawk-Ter­ri­to­ri­um, also Teil der Iro­ke­sen-Kon­fö­de­ra­ti­on. In der Schweiz war es ein­fa­cher.“

Im Gegen­satz zu den Ver­ein­ten Natio­nen war die Inter­na­tio­na­le Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on ILO in Bezug auf Indi­ge­ne Völ­ker schnel­ler in der Kodi­fi­zie­rung von Nor­men für deren beson­de­re Bedürf­nis­se. Sie ver­ab­schie­de­te die bei­den Kon­ven­tio­nen ILO 107 (1957) und ILO 169 (1989). Die ers­te­re gilt heu­te als über­holt, da sie Indi­ge­ne nicht als Gemein­schaft berück­sich­tigt; die letz­te­re wur­de nur von einer gerin­gen Zahl von Staa­ten rati­fi­ziert, weil sie für das Arbeits­ver­hält­nis, die wirt­schaft­li­che, sozia­le und kul­tu­rel­le Ent­wick­lung sowie für die kol­lek­ti­ven (Land)Rechte von Indi­ge­nen maß­geb­lich wäre. Aus Angst vor uner­wünsch­ten Kon­se­quen­zen in der eige­nen Recht­spre­chung ver­wei­gern bis heu­te auch Deutsch­land, Öster­reich und die Schweiz deren Rati­fi­zie­rung, trotz inten­si­ver Lob­by-Arbeit einer Koali­ti­on von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen in die­sen Län­dern. 

Flucht nach vor­ne – nach Genf

Eingang zum Völkerbundpalast in Genf

Ein­gang zum Völ­ker­bund­pa­last in Genf (Foto: Hele­na Nyberg)

Die Beset­zung von Woun­ded Knee 1973 in Süd Dako­ta (USA) war der Aus­lö­ser zur Grün­dung des Inter­na­tio­na­len India­ni­schen Ver­trags­ra­tes (IITC[3]). Als poli­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on des Ame­ri­can Indi­an Move­ment reis­ten 1974 Ver­tre­ter des IITC an den Sitz der UN-Men­schen­rechts­kom­mis­si­on in Genf und ver­lang­ten die Auf­nah­me in die Völ­ker­ge­mein­schaft. Zuvor hat­ten die Indi­ge­nen schmerz­lich rea­li­siert, dass weder in Kana­da noch in den USA ein Wil­le bestand, ihre Rech­te anzu­er­ken­nen, geschwei­ge denn umzu­set­zen. So war der IITC die ers­te Indi­ge­nen-Orga­ni­sa­ti­on, die 1977 den Kon­sul­ta­tiv-Staus des UN-Wirt­schafts- und Sozi­al­ra­tes (ECOSOC) erhielt. In jenem Jahr hat­ten die Indi­ge­nen bereits „Ver­bün­de­te“: UN-Ange­stell­te öff­ne­ten ihnen wort­wört­lich die Tore zur ers­ten regie­rungs­un­ab­hän­gi­gen Kon­fe­renz zum The­ma Diskriminierung[4].
Edith Ballan­ty­ne, die dama­li­ge Gene­ral­se­kre­tä­rin der Inter­na­tio­na­len Frau­en­li­ga für Frie­den und Frei­heit (WILPF), konn­te die Men­schen­rechts­kom­mis­si­on von der Not­wen­dig­keit einer sol­chen Kon­fe­renz über­zeu­gen. Die heu­te 98jährige ver­folgt und kom­men­tiert noch immer die Ent­wick­lung der Indi­ge­nen- und Frau­en­rech­te in der UNO und wur­de 40 Jah­re spä­ter 2017 von den Indi­ge­nen am Sym­po­si­um zur Erin­ne­rung an 1977gewür­digt.

1981 fand die zwei­te NGO-Konferenz[5] an der UNO statt. Dabei stand die Aner­ken­nung der Indi­ge­nen Land­rech­te im Vor­der­grund; denn ohne Land kei­ne Kul­tur und Iden­ti­tät als Indi­ge­nes Volk. Bei bei­den NGO-Kon­fe­ren­zen waren indi­ge­ne Frau­en sehr prä­sent. Dank der frü­hen Ver­net­zung reis­ten auch Dele­gier­te aus Mit­tel- und Süd­ame­ri­ka nach Genf. Gemein­sam schaff­ten sie es, dass 1982 die Arbeits­grup­pe der indi­ge­nen Bevöl­ke­run­gen (WGIP)[6] ein­ge­setzt wur­de: Wie in Insti­tu­tio­nen üblich, bil­de­te man zuerst eine Arbeits­grup­pe und sie­del­te sie zuun­terst in der UN-Hier­ar­chie an; hier wur­den 5 Expert*innen beauf­tragt, sich mit der Lage der Indi­ge­nen aus­ein­an­der­zu­set­zen und eine (nicht bin­den­de) Erklä­rung der Rech­te Indi­ge­ner Völ­ker aus­zu­ar­bei­ten. Die­se soll­te dann der UN-Gene­ral­ver­samm­lung zur Abstim­mung vor­ge­legt wer­den. Was die Staa­ten nicht vor­aus­sa­hen, war die Ent­wick­lung und Brei­ten­wir­kung der WGIP. Unter der lang­jäh­ri­gen, stren­gen aber umsich­ti­gen Lei­tung der Grie­chin Eri­ca-Ire­ne Daes rea­li­sier­ten die Expert*innen, dass sie die Indi­ge­nen in den Pro­zess ein­be­zie­hen muss­ten und luden Indi­ge­ne von allen Kon­ti­nen­ten ein.  

Onondaga Tadodaho Sid Hill, Head Chief of All the Six Nations, eröffnet alljährlich das Permanente Forum in New York

Der Onon­da­ga Tado­da­ho Sid Hill, Head Chief of All the Six Nati­ons, eröff­net all­jähr­lich das Per­ma­nen­te Forum in New York (Foto: Hele­na Nyberg)

Über die Jah­re wuchs die WGIP zur meist­be­such­ten UNO-Ver­an­stal­tung des Jah­res und zog nebst Indi­ge­nen auch Diplomat*innen, zivil­ge­sell­schaft­li­che Kräf­te und uni­ver­si­tä­re Krei­se an; zuletzt nah­men bis zu 2’000 Per­so­nen an den im Juli statt­fin­den­den Sit­zun­gen teil. Vor allem Staa­ten, auf deren roh­stoff­rei­chen Ter­ri­to­ri­en Indi­ge­ne Völ­ker leb­ten, rea­li­sier­ten mit der Zeit, dass in die­ser Arbeits­grup­pe Wei­chen gestellt wur­den, die ihrer dis­kri­mi­nie­ren­den und men­schen­rechts­ver­let­zen­den Pra­xis Ein­halt gebie­ten könn­te; die WGIP erhielt näm­lich die Befug­nis, kon­kre­te Nor­men für den Umgang mit Indi­ge­nen vor­zu­schla­gen – für eine Arbeits­grup­pe eine erstaun­li­che Kom­pe­tenz. So betei­lig­ten sich die USA, Kana­da, Neu­see­land und Aus­tra­li­en erst in den 1990er Jah­ren so rich­tig an den Ver­hand­lun­gen, weil sie die wach­sen­den Selbst­be­stim­mungs­ten­den­zen ein­däm­men und sicher gehen woll­ten, die Kon­trol­le über das Land der Indi­ge­nen nicht zu ver­lie­ren. Süd­ame­ri­ka­ni­sche und afri­ka­ni­sche Staa­ten befürch­te­ten ihrer­seits die Stär­kung sepa­ra­tis­ti­scher Bewe­gun­gen.

Die Rei­se zur UNO: gro­ßes Opfer für Indi­ge­ne

Die UNO muss­te bald ein­se­hen, dass sie von den Indi­ge­nen nicht ver­lan­gen konn­te, all­jähr­lich auf eige­ne Kos­ten nach Genf und spä­ter auch nach New York zu rei­sen. Oft sind Indi­ge­ne, etwa aus dem Busch im Nor­den Kana­das oder aus dem Ama­zo­nas­ge­biet Bra­si­li­ens, meh­re­re Tage unter­wegs, nur um zum nächs­ten Bin­nen­flug­ha­fen zu gelan­gen – was mit gro­ßen Kos­ten ver­bun­den ist. Dann kommt die Rei­se in die Haupt­stadt, um bei der US oder Schwei­zer Bot­schaft ein Visum zu bean­tra­gen. In Genf (oder NY) brau­chen sie Geld für Trans­port, Unter­kunft und Essen. 

1985 seg­ne­te die Gene­ral­ver­samm­lung die Errich­tung eines Frei­wil­li­gen Fonds zur Unter­stüt­zung indi­ge­ner Dele­gier­ten ab. Er speist sich aus den Spen­den der Mit­glieds­staa­ten. All­jähr­lich finan­ziert er ca. 60 Dele­gier­ten aus der gan­zen Welt Rei­se und Auf­ent­halt. Heu­te kön­nen die Indi­ge­nen auch für ande­re UN-Orga­ne beim Vol­un­t­a­ry Fund anklop­fen. Weil die­ser pri­mär auf die Spen­dier­freu­dig­keit der UN-Mit­glieds­staa­ten ange­wie­sen ist und die­se immer knaus­ri­ger wer­den, ist er knapp dotiert. So ver­fügt der Vol­un­t­a­ry Fund der Welt­or­ga­ni­sa­ti­on für geis­ti­ges Eigen­tum (WIPO) zur­zeit über kein Geld, nach­dem die von der Schweiz gespen­de­ten CHF 150’000 auf­ge­braucht wor­den sind. 

Delegierte des kleinsten Indigenen Volkes der USA beim Menschenrechtsrat; Die Havasupai Carletta Tilousi und Dianna Uqualla machen bez. der USA 2014 eine Eingabe beim UN-Zivilpakt

Dele­gier­te des kleins­ten Indi­ge­nen Vol­kes der USA beim Men­schen­rechts­rat; Die Hava­su­pai Car­let­ta Tilou­si und Dian­na Uqual­la machen bez. der USA 2014 eine Ein­ga­be beim UN-Zivil­pakt (ICCPR) (Foto: Hele­na Nyberg)

Als 1995 die Men­schen­rechts­kom­mis­si­on eine zwei­te Arbeits­grup­pe ein­setz­te, um die Erklä­rung in eine Form zu brin­gen, wel­che von allen Betei­lig­ten akzep­tiert wer­den könn­te, brauch­te es mehr Mit­tel für die kon­ti­nu­ier­li­che Arbeit bei der UNO. Die Indi­ge­nen hat­ten erwar­tet, dass ihr Ent­wurf der Dekla­ra­ti­on nach 13 Jah­ren Arbeit end­lich an die Men­schen­rechts­kom­mis­si­on über­wie­sen wür­de. Die­se hät­te ihn dann direkt an die UN-Gene­ral­ver­samm­lung wei­ter­lei­ten sol­len. Aber es dau­er­te noch­mals 12 Jah­re, bis 2006 die Arbeit mit einem Erklä­rungs­ent­wurf abge­schlos­sen wur­de. Er bil­det den kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner der Aner­ken­nung indi­ge­ner Rech­te, die sie den Regie­run­gen auf neu­tra­lem Boden der UNO abge­run­gen hat­ten.

Es brauch­te einen lan­gen Atem – und Geld – um immer wie­der an die UNO für eine wei­te­re Sit­zung der WGIP zu fah­ren. Der Indi­ge­nen-Fonds des Welt­kir­chen­rats und der durch IWGIA in Däne­mark ver­wal­te­te Human Rights Fund sowie der von Inco­min­di­os initi­ier­te und ver­wal­te­te Swiss Fund waren nebst dem UN-Vol­un­t­a­ry Fund die ein­zi­gen Fonds, wel­che die Indi­ge­nen unter­stütz­ten. Am längs­ten hielt sich der durch die Schwei­zer Direk­ti­on für Ent­wick­lung und Zusam­men­ar­beit gespeis­te Swiss Fund von Inco­min­di­os: von 1996 bis 2016 ermög­lich­te er pro Jahr ca. 40–60 erfah­re­nen und uner­fah­re­nen, jün­ge­ren und älte­ren, wei­sen indi­ge­nen Frau­en und Män­nern die Rei­se zur UNO; Inco­min­di­os unter­stützt die Indi­ge­nen bis heu­te bei der Bean­tra­gung von Visa und Akkre­di­tie­run­gen, dem Auf­ent­halt in Genf und New York sowie mit der Orga­ni­sa­ti­on von eige­nen Ver­an­stal­tun­gen und Pres­se­kon­fe­ren­zen. Ohne die­se Fonds der Zivil­ge­sell­schaft hät­ten die Indi­ge­nen kei­ne Chan­ce gehabt, bei Sit­zun­gen, die ihre Rech­te direkt betra­fen, ihre Stim­me von Jahr zu Jahr ein­zu­brin­gen.

Die WGIP war anfangs das ein­zi­ge UN-Organ, das Indi­ge­nen die Mög­lich­keit bot, über ihre Lebens­be­din­gun­gen zu berich­ten. Des­halb nah­men Hun­der­te von indi­ge­nen Dele­gier­ten die kost­spie­li­gen Schwie­rig­kei­ten auf sich, um zur Arbeits­grup­pe zu rei­sen und ihre kon­kre­ten Anlie­gen vor­zu­brin­gen. Lei­der glaub­ten sie all­zu oft, dass sich danach unmit­tel­bar etwas zum Guten wen­den wür­de. Vie­le reis­ten ent­täuscht wie­der ab. Trotz aller Kri­tik war die UNO der Ort, an dem sie sich ken­nen­ler­nen, ver­net­zen und aus­tau­schen konn­ten. Ambi­tio­nier­te jun­ge Indi­ge­ne erhiel­ten die Chan­ce, ein Prak­ti­kum beim UNO-Hoch­kom­mis­sa­ri­at für Men­schen­rech­te zu absol­vie­ren – Vital Bam­ban­ze, Bat­wa aus Burun­di, ist einer der mar­kan­tes­ten Fäl­le von Capa­ci­ty Buil­ding[7] dank der UNO stieg er zum Exper­ten und Prä­si­den­ten des afri­ka­ni­schen Indi­ge­nen-Dach­ver­ban­des IPACC auf und ver­trat die Bat­wa in einem Senats­aus­schuss von Burun­di. 

UNDRIP – nach 25 Jah­ren har­ter Arbeit 

Ab 1995 wur­de der Ent­wurf in einer zwei­ten Arbeits­grup­pe noch­mals über­ar­bei­tet. Die Indi­ge­nen muss­ten wei­ter anrei­sen und dar­auf ach­ten, dass ihre Rech­te auf Land und Selbst­be­stim­mung, kol­lek­ti­ve Orga­ni­sa­ti­on ihrer Gemein­schaf­ten, auf die eige­ne Sprach, Kul­tur und Regie­rungs­form, etc. nicht ver­wäs­sert wur­den. Den Indi­ge­nen war klar, dass nach der Aus­ar­bei­tung eines Dekla­ra­ti­ons­ent­wur­fes die WGIP auf­ge­löst wür­de und sie kein Gre­mi­um mehr hät­ten, um ihre Rech­te vor­an­zu­trei­ben. Sie muss­ten ihre Lob­by-Arbeit bei der UNO inten­si­vie­ren – und erziel­ten Erfol­ge: 2001 setz­te der Men­schen­rechts­rat den ers­ten UN-Son­der­be­richt­erstat­ter für die Rech­te Indi­ge­ner Völker[8] ein, der ihre kon­kre­ten Anlie­gen anhört; meist gra­vie­ren­de Ver­let­zun­gen ihrer Land- oder kul­tu­rel­len Rech­te. 2002 wur­de das pari­tä­tisch struk­tu­rier­te Stän­di­ge Forum für indi­ge­ne Ange­le­gen­hei­ten geschaf­fen, das sich im Früh­ling in New York trifft. Es besteht aus acht Regierungsvertreter*innen und acht von indi­ge­nen Orga­ni­sa­tio­nen vor­ge­schla­ge­nen Mit­glie­dern. Lei­der kommt es immer wie­der vor, dass Indi­ge­ne aus soge­nannt „ter­ror­ge­fähr­de­ten“ Län­dern kein Visum für die USA erhal­ten – eine kla­re Dis­kri­mi­nie­rung und ein Rück­schritt in der För­de­rung Indi­ge­ner Rech­te.

Frauenpower am UNPFII 2014: Jessica Vega Ortega (Mixteco, Mexiko) liest ein Statement im Namen der Indigenous Women’s Alliance

Frau­en­power am UNPFII 2014: Jes­si­ca Vega Orte­ga (Mix­te­co, Mexi­ko) liest ein State­ment im Namen der Indi­ge­nous Women’s Alli­ance (Foto: Hele­na Nyberg)

Und end­lich: Es dau­er­te fast ein Vier­tel­jahr­hun­dert, bis die United Nati­ons Decla­ra­ti­on on the Rights of Indi­ge­nous Peo­p­les (UNDRIP) am 13. Sep­tem­ber 2007 von der UN-Gene­ral­ver­samm­lung mit 4 Gegenstimmen[9] und 11 Ent­hal­tun­gen abge­seg­net wur­de, als „Mini­mal­stan­dard für das Über­le­ben, die Wür­de und das Wohl indi­ge­ner Völ­ker (Art.43)“. Boli­vi­en und Vene­zue­la haben die Dekla­ra­ti­on in ihre Staats­ver­fas­sung über­nom­men. Nun geht es um die Umset­zung. Das ist das Haupt­man­dat der bestehen­den drei für Indi­ge­ne rele­van­ten Instan­zen: Als drit­te wur­de 2007 der Exper­ten­me­cha­nis­mus über die Rech­te der Indi­ge­nen Völ­ker ein­ge­setzt, der aber auch kei­ne kon­kre­ten Rechts­nor­men aus­ar­bei­ten darf. Der*die Sonderberichterstatter*in ist zu einer Art „Kum­mer­kas­ten“ gewor­den, der als ein­zi­ger die Kla­gen Indi­ge­ner Völ­ker auf­neh­men kann. Die Ver­tei­di­gung indi­ge­ner Rech­te geht auch in den UN-Vertragsorganen[10] der Men­schen­rechts­kon­ven­tio­nen wei­ter. 

Fazit

In den 75 Jah­ren seit Bestehen der UNO ist der gan­ze Pro­zess bis zur Ver­ab­schie­dung der UNDRIP, die sich auf die ILO-Kon­ven­tio­nen 107 und 169 stützt, für die Indi­ge­nen ein­zig­ar­tig und weg­wei­send gewe­sen. Kein ande­res völ­ker­recht­li­ches Doku­ment hat so lan­ge gebraucht und die Betrof­fe­nen von Anfang an ein­be­zo­gen wie die UNDRIP. Sie gewähr­leis­tet einen völ­ker­recht­li­chen Sta­tus und bedeu­tet eine for­mel­le Wei­ter­ent­wick­lung der Idee der Men­schen­rech­te. Zwar ist sie nicht bin­dend, aber durch ihre lan­ge Ent­ste­hungs­pha­se hat sie eine Art eng­li­sches Gewohn­heits­recht erhal­ten und dadurch mora­li­sches Gewicht. So set­zen z.B. die Trea­ty 6‑Cree in Kana­da die Dekla­ra­ti­on ein, um von den Pro­vin­zen ein zwei­spra­chi­ges Bil­dungs­sys­tem zu for­dern. Kein Tref­fen beginnt bei ihnen, ohne dass zuerst aus der UNDRIP zitiert wird.

Die Indi­ge­nen haben sich ihre Prä­senz bei der UNO schwer erar­bei­tet. Es ist nicht selbst­ver­ständ­lich, dass sie heu­te eine Dekla­ra­ti­on und das dar­in wich­ti­ge Prin­zip der „frei­en, vor­he­ri­gen und infor­mier­ten Zustimmung“[11] zu allen sie betref­fen­den Pro­jek­ten in Hän­den hal­ten. Sie ver­dan­ken es ihrer gro­ßen Beharr­lich­keit, dass sie in allen für sie wich­ti­gen Gre­mi­en prä­sent sind.

Die UN-Gene­ral­ver­samm­lung hat beschlos­sen, alle Akti­vi­tä­ten im Jahr 2020 unter das Mot­to: «Die Zukunft, die wir wol­len, die Ver­ein­ten Natio­nen, die wir brau­chen» zu stel­len. Sie bekräf­ti­gen ihr gemein­sa­mes Bekennt­nis zum Mul­ti­la­te­ra­lis­mus. Doch wenn die Umset­zung der UNDRIP nicht gelingt, kann von einem Ein­be­zug aller Völ­ker in die demo­kra­ti­schen Pro­zes­se der UNO nicht die Rede sein. 

Hele­na Nyberg, Zürich,
Men­schen­rechts­exper­tin Inco­min­di­os
www.incomindios.ch


[1] “The Cobo Report”, UN Doc E/CN 4 Sub2/1986/7. 

[2] Zwar woll­ten die Indi­ge­nen Völ­ker, dass die UNO das Jahr 1992 zum Jahr der Indi­ge­nen Völ­ker dekla­riert hät­te; das war den UN-Mit­glieds­staa­ten zu hei­kel. Sie befürch­te­ten Auf­stän­de der Indi­ge­nen v.a. auf dem ame­ri­ka­ni­schen Dop­pel­kon­ti­nent, die sich gegen die staat­li­chen Fei­er­lich­kei­ten zum 500. Gedenk­jahr von Kolum­bus (1492–1992) wehr­ten.

[3] Inter­na­tio­nal Indi­an Trea­ty Coun­cil, 1974 von 5000 Vertreter*innen von 98 indi­ge­nen Natio­nen Nord‑, Mit­tel- und Süd­ame­ri­kas in Stan­ding Rock gegrün­det. Des­sen Lei­tung schick­te Che­ro­kee Jim­my Dur­ham – heu­te ein renom­mier­ter Künst­ler, der 2019 den Preis der Bien­na­le von Vene­dig für sein Lebens­werk erhal­ten hat – in die Schweiz, um die Schaf­fung von Orga­ni­sa­tio­nen als Sprach­rohr ihrer Anlie­gen zu initi­ie­ren. So wur­de 1974 Inco­min­di­os als Inter­na­tio­nal Com­mit­tee for the Indi­ans of the Ame­ri­cas gegrün­det, spä­ter kamen Soco­nas Inco­min­di­os (Ita­li­en), FINCOMINDIOS (Finn­land) oder Inco­min­di­os Pol­and (Polen) hin­zu. Heu­te sind zahl­rei­che Orga­ni­sa­tio­nen mit ande­ren Namen in ganz Euro­pa tätig, die ver­netzt sind. Die UNO war und ist eine der Prio­ri­tä­ten unse­rer Arbeit. Unter dem Namen Inter­na­tio­na­les Komi­tee für die Indi­ge­nen Völ­ker Ame­ri­kas erhiel­ten wir 2003 den ECO­SOC-Bera­ter­sta­tus.

[4] NGO-Con­fe­rence on Dis­cri­mi­na­ti­on against Indi­ge­nous Peo­p­les of the Ame­ri­cas (1977)

[5] NGO-Con­fe­rence on Indi­ge­nous Peo­p­les and the Land (1981)

[6] Working Group on Indi­ge­nous Popu­la­ti­ons (WGIP) 1982–2006. Erst nach lan­gem Kampf setz­ten die Indi­ge­nen durch, dass „ihre“ Arbeits­grup­pe nicht mehr für «Popu­la­ti­ons», also Bevöl­ke­run­gen arbei­te­te, son­dern für «Peo­p­les», also für (selbst­be­stimm­te) Völ­ker. So heisst das „Pro­dukt“ der WGIP denn auch «UN-Dekla­ra­ti­on für die Rech­te Indi­ge­ner Völ­ker». Am Wie­ner Men­schen­rechts­gip­fel 1993 waren die Indi­ge­nen mit Schil­dern an den Ver­hand­lun­gen prä­sent, auf denen ein gros­ses «S» für «Peo­p­les» prang­te.

[7] Ermäch­ti­gung und Aneig­nung von Kom­pe­ten­zen (inner­halb der UN-Orga­ne)

[8] 2001–2008: Rodol­fo Sta­ven­ha­gen (MEX); bis 2014 James Ana­ya, indi­ge­ner Rechts­pro­fes­sor (USA); bis März 2020 Vicky Tau­li-Cor­puz, Igo­rot (PHIL). Zur­zeit Fran­cis­co Calí Tsay (GUAT).

[9] Zustim­mung der 4 Län­der: Aus­tra­li­en (2009), USA (2010), Neu­see­land (2010), Kana­da (2016)

[10] Die sog. Trea­ty Bodies: CERD (Dis­kri­mi­nie­rung); CEDAW (Frau­en); CCPR (zivi­le und bür­ger­li­che Rech­te); zudem Uni­ver­sal Peri­odic Review des HRC. Die Indi­ge­nen kon­fron­tie­ren die Regie­run­gen mit Län­der­be­rich­ten aus ihrer Sicht und infor­mie­ren die UN-Exper­ten über Rechts­ver­let­zun­gen.

[11] Free, Pri­or and Infor­med Con­sent (FPIC)



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