Dezember 28, 2017

Den­nis J. Banks — Ein guter Tag zum Ster­ben! — Nach­ruf

Den­nis J. Banks hat uns für immer ver­las­sen. Der AIM-Akti­vist aus dem Land der Anis­hina­be im Nor­den Min­ne­so­tas war seit den 70er Jah­ren eine Front­fi­gur des india­ni­schen Wider­stands. Sei­ne Ideen und Taten haben die indi­ge­ne Rea­li­tät Nord­ame­ri­kas nach­hal­tig beein­flusst.
Er wur­de 80 Jah­re alt.

Dennis J. Banks, 1977

Den­nis J. Banks, 1977

„Heu­te ist ein guter Tag zum Ster­ben!“, rief Den­nis Banks. Er war der Wort­füh­rer, nicht nur an die­sem kal­ten Febru­ar­tag 1972 in Cus­ter, South Dako­ta. Das Ame­ri­can Indi­an Move­ment (AIM) hat­te zu einem Pro­test gegen den Ras­sis­mus der wei­ßen Jus­tiz auf­ge­ru­fen. Die Jus­tiz ent­sprach der Men­ta­li­tät des Wil­den Wes­tens, die sich schon im Orts­na­men manis­fes­tier­te: Geor­ge Arm­strong Cus­ter war im Juni 1876 mit sei­ner 7. US-Kaval­le­rie von den ver­ei­nig­ten Sioux, Che­yenne und Ara­pa­hoe in der Schlacht am Litt­le Big Horn ver­nich­tend geschla­gen wor­den. Die Rechts­spre­chung unter­schied auch 100 Jah­re nach Cus­ters Tod zwi­schen Rot und Weiß: „If they say jus­ti­ce, they mean just us“, lau­tet eine Redens­art der Reser­vats­be­woh­ner, die man auch heu­te noch hören kann. Wes­ley Bad Heart Bull, ein jun­ger Ogla­la aus dem Reser­vat Pine Ridge war bei einem Streit von einem Wei­ßen nie­der gesto­chen wor­den; den Täter hat­te man gegen Kau­ti­on wie­der frei gelas­sen. Sarah Bad Heart Bull, die Mut­ter des Toten wand­te sich an AIM, und AIM kam.

„Today is a good day to die!“, rief er vor lau­fen­den TV-Kame­ras; er zitier­te damit einen Schlacht­ruf des Lako­ta-Krie­gers Cra­zy Hor­se. Gemeint war: Dies hier ist es wert, dass wir unser Leben ris­kie­ren. In den Ohren der Wei­ßen war es ein Auf­ruf zum Töten. Ein Pro­tes­zug von 200 India­nern, ange­führt von Den­nis Banks, beweg­te sich auf das Gerichts­ge­bäu­de zu. Sarah Bad Heart Bull woll­te den Rich­ter spre­chen, ihr wur­de der Zugang ver­wei­gert, im Hand­ge­men­ge wur­de sie die Stu­fen zum Gericht hin­un­ter gesto­ßen. Poli­zei und AIM lie­fer­te sich eine Stra­ßen­schlacht. Im Tumult ging das nahe gele­ge­ne Haus der Han­dels­kam­mer in Flam­men auf. Anschlie­ßend eska­lier­ten die Ereig­nis­se in South Dako­ta.

Sarah Bad Heart Bull ver­brach­te fünf Mona­te im Gefäng­nis wegen Auf­ruhr (der Mör­der wur­de zu einer Geld­stra­fe ver­ur­teilt), Den­nis Banks und Rus­sel Means, ein AIM-War­ri­or der Ogla­la-Lako­ta, wur­den eben­falls ver­ur­teilt, waren aber nicht mehr greif­bar, son­dern im nahe gele­ge­nen Reser­vat Pine Ridge in einen india­ni­schen Bür­ger­krieg ein­ge­taucht, einem Krieg zwi­schen den tra­di­tio­nel­len Lako­ta und den Ver­wal­tungs­in­dia­nern, die sich Sioux nann­ten und im Sold der US-Regie­rung stan­den. Die­ser Febru­ar 1973 soll­te nicht nur das Leben von Den­nis Banks nach­hal­tig ver­än­dern, son­dern die gesam­te india­ni­sche Welt.

„A Good Day to Die!“ nann­ten die Fil­me­ma­cher Lynn Salt und David Muel­ler ihre 2010 erschie­ne­ne Banks-Bio­gra­phie. Sie führt uns nach Leech Lake im Nor­den Min­ne­so­tas, wo Den­nis am 12. April 1937 gebo­ren wur­de. Den­nis ist ein soge­nann­ter Chip­pe­wa (in Cana­da sagen sie Ojib­way), er selbst sieht sich als Anis­hina­be mit Namen Nowa Cuming, das „Mit­te des Uni­ver­sums“ bedeu­tet. Als Kind durch­leb­te er das typi­sche india­ni­sche Schick­sal jener Jah­re: Er wur­de abge­holt und in den kom­men­den Jah­ren in vier Boar­ding Schools für den Ame­ri­can Way of Life sozia­li­siert: Die Haa­re wur­den zu einem Bürs­ten­schnitt gekürzt, auf das Spre­chen der eige­nen Spra­che erfolg­te Dun­kel­haft. Oft muß­te er Spieß­ru­ten lau­fen und die Näch­te in einer soge­nann­ten „stink dorm“, einem übel rie­chen­den Raum ver­brin­gen. Vier­mal floh er, wur­de jedes­mal wie­der ein­ge­fan­gen und bestraft. Die Brie­fe sei­ner Mut­ter wur­den ihm nie aus­ge­hän­digt. Die Ska­la der Bestra­fun­gen zeig­ten die Band­brei­te der per­ver­sen Assi­mi­lia­ti­ons­päd­ago­gik. Mäd­chen muß­ten in ihren Inter­na­ten auf den Knien (dar­un­ter waren Mur­meln gebun­den) mit der Zahn­bürs­te den Küchen­bo­den schrub­ben.

Für die Dreh­ar­bei­ten zur Film­do­ku­men­ta­ti­on gin­gen Lynn Salt und David Muel­ler mit Den­nis zurück nach Pipes­tone. Es wühl­te ihn auf, doch es brach­te auch Hei­lung. Sei­ne Enke­lin Tas­hi­na, die für den Film arbei­te­te, fand in den Archi­ven des Bureau of Indi­an Affairs ein Bün­del Brie­fe, die an ihn adres­siert waren. Es waren die Brie­fe sei­ner Mut­ter, die ihm nie aus­ge­hän­digt wor­den waren. Seuf­zend nahm er die Brie­fe ent­ge­gen; sei­ne Mut­ter hat­te ihn also nicht ver­ges­sen.

„Das hat mei­ne Gefüh­le zu mei­ner Mut­ter ver­än­dert“, sag­te er, „das war sehr heil­sam.“

Als er die Erzie­hungs­in­sti­tu­tio­nen hin­ter sich gelas­sen hat­te, mel­de­te er sich zur Air Force. Dies brach­te ihn nach Japan, wo er Machi­ko ken­nen lern­te und hei­ra­te­te, eine Toch­ter kam zur Welt – was die mili­tä­ri­schen Regeln spreng­te. Sei­ne Vor­ge­setz­ten nah­men ihn wegen „wie­der­hol­tem, uner­laub­ten Ent­fer­nen von der Trup­pe“ fest, er wur­de uneh­ren­haft ent­las­sen und in Hand­schel­len in die USA zurück geflo­gen. Machi­ko und die Toch­ter soll­te er nie mehr sehen.

Was dann folg­te, läßt sich heu­te in vie­len Beschrei­bun­gen des india­ni­schen Wider­stands im 20. Jahr­hun­dert wie­der­fin­den. Den­nis geriet, wie man so sagt, „auf die schie­fe Bahn“ (im Eng­li­schen: on the wrong track). Er hing in Min­nea­po­lis rum, trank, viel und alles und mit ande­ren, wach­te oft in der Zel­le wie­der auf, dann folg­ten klei­ne Delik­te und bald grö­ße­re, und schließ­lich lau­te­te sei­ne Post­adres­se „Still­wa­ter Pri­son, 970 Pickett Ave N, Bay­po­rt, MN 55003“. Hier traf er ande­re sei­nes Stam­mes, die eine ähn­li­che Bio­gra­fie hin­ter Git­ter gebrach­te hat­te: Cly­de Bel­le­court, Geor­ge Mit­chel. Zu dritt such­ten sie einen Aus­weg. Sie beschlos­sen, nach ihrer Ent­las­sung dafür zu sor­gen, von der schie­fen auf die gera­de Bahn zu kom­men, und nicht nur das: von der Bahn des Ame­ri­can Way of Life auf einen india­ni­schen Weg – the Red Road. Sie hat­ten dabei nicht die india­ni­sche Welt vor Augen, son­dern ihre Stra­ße: Frank­lin Ave­nue – wo jeder Betrun­ke­ne zur Beu­te der Poli­zei wur­de. India­ni­sche Frau­en wur­den im Strei­fen­wa­gen ver­ge­wal­tigt oder in einem Park und dann lie­gen gelas­sen.

Den­nis und Cly­de und Geor­ge grün­de­ten 1968 eine Patrouil­le, die den Poli­zei­strei­fen hin­ter­her fuhr und Ver­haf­tun­gen und Über­grif­fe ver­hin­der­te. Wie soll­ten sie sich nen­nen? Ame­ri­can Indi­an Move­ment? Abge­kürzt wur­de dar­aus AIM, und das hieß auch Ziel. Ja, das war’s! Und eine Zahn­pas­ta glei­chen Namens gab es bereits. AIM war gebo­ren – und jede Nacht unter­wegs. Die Ver­haf­tun­gen gin­gen zurück. Nicht nur das: Die Fah­rer der AIM-Pat­rol waren auch Sozi­al­ar­bei­ter und eröff­ne­ten den Alko­ho­li­kern einen spi­ri­tu­el­len Aus­weg durch die eige­ne Kul­tur, für die sich vie­le schäm­ten. Cha­nu­pa, die hei­li­ge Pfei­fe der Lako­ta, wur­de ein Bestand­teil von AIM.

Von AIM erfuhr die Welt durch Woun­ded Knee. Woun­ded Knee liegt im Reser­vat Pine Ridge und war 1890 der Ort des letz­ten Mas­sa­kers an Urein­woh­nern. 1973 bekam Woun­ded Knee eine neue Bedeu­tung. Die Stam­mes­äl­tes­ten der Ogla­la hat­ten AIM gebe­ten, die des­po­ti­sche Stam­mes­re­gie­rung in die Schran­ken zu wei­sen. Für AIM hieß das: erneut an den Grund­fes­ten des Bureau of Indi­an Affairs zu rüt­teln. Im Jahr zuvor hat­te AIM zu einem „Trail of Bro­ken Trea­ties“ (Marsch der gebro­che­nen Ver­trä­ge) auf­ge­ru­fen. Der Weg nach Washing­ton, DC ende­te mit der Beset­zung des Bureau of Indi­an Affairs. Dort wur­de belas­ten­des Mate­ri­al kar­ton­wei­se ins Freie geschafft; was alle wuß­ten, hat­ten sie jetzt schwarz auf weiß: Sie wur­den betro­gen wie ihre Vor­fah­ren. Die Behör­den saßen in der Klem­me und mach­ten ein Ange­bot, das sich heu­te wie ein Mär­chen liest: Wie viel Dol­lars braucht Ihr, um Washing­ton wie­der zu ver­las­sen? Die Anfüh­rer rech­ne­ten die Heim­rei­se durch, kei­nem soll­te es man­geln, sie nann­ten die Sum­me, ohne Mur­ren wur­de der Betrag in Schei­nen über­ge­ben. Wir kön­nen uns das Schmun­zeln von Den­nis Banks vor­stel­len. Das war eine Geschich­te, die man spä­ter am Feu­er nicht oft genug erzäh­len konn­te.

Ich lern­te Den­nis im Juni 1973 ken­nen, im Büro des Lako­ta-Anwalts Ramon Rou­bi­deaux in Rapid City, er hör­te gera­de einer älte­ren Frau zu, die offen­kun­dig sei­nen Rat such­te. Es war ein Bild des zuge­wand­ten Zuhö­rens. Klar: Er hat­te jetzt kei­ne Zeit für ein Inter­view. Rus­sel Means war auch da, eben­so Pedro Bis­so­net­te, aber sie hat­ten auch kei­ne Zeit. Ich hat­te Zeit – das War­ten dien­te dem Erfas­sen die­ser Situa­ti­on. Pedro soll­te ich nicht mehr wie­der sehen: Er wur­de weni­ge Wochen spä­ter auf dem High­way erschos­sen.

Am Ende des Tages sprach Den­nis dann ins Mikro­phon: „The­re will be a Woun­ded Knee in North Dako­ta, the­re will be a Woun­ded Knee in Ari­zo­na, the­re will be a Woun­ded Knee in New York, the­re will be a Woun­ded Knee in Okla­ho­ma, the­re will be a Woun­ded Knee whe­re­ver Indi­an peo­p­le are.”

Er soll­te so recht behal­ten.

Als im Janu­ar 1973 im Reser­vat Pine Ridge die ältes­ten Frau­en der Lako­ta Hil­fe such­ten, um die BIA-Regie­rung los zu wer­den, da war es klar, dass sie sich AIM wünsch­ten. Und AIM kam: Die Stadt­in­dia­ner aus den Twin Cities wuss­ten, dass sie ihr Leben ris­kier­ten, wenn sie nicht dafür sorg­ten, dass die Welt zusah. Also muss­ten sie die Kri­te­ri­en erfül­len, die die Wei­ßen von India­nern erwar­te­te. Sie boten lan­ge Haa­re, Federn, Fran­sen, bemal­te Gesich­ter, Trom­meln, Gesang, Geweh­re (auch wenn sie nichts taug­ten) – und sie besetz­ten einen Ort, der eh der ihre war. Die Rech­nung ging auf: Die Medi­en der Welt kamen. Den­nis Banks und Rus­sel Means wur­den die Wort­füh­rer in die­ser his­to­ri­schen Kon­fron­ta­ti­on, die die USA mili­tä­risch zu lösen ver­such­te. Nach 71 Tagen war die Beset­zung vor­bei, doch auf dem Reser­vat ging der Krieg wei­ter: Die regie­rungs­treu­en India­ner (app­les genannt: außen rot, innen weiß) wur­den vom FBI mit Muni­ti­on und Bier ver­sorgt, die tra­di­tio­nel­len Lako­ta gin­gen in die Sweat­lodge und bang­ten um ihr Leben. In den zwei Jah­ren nach Woun­ded Knee nutz­te das FBI die Kri­se und bil­de­te über 2000 Spe­cial Agents im Reser­vat aus. Eine Prä­rie, in der die Kugeln flie­gen, war jeder Simu­la­ti­on vor­zu­zie­hen. An die 80 Mor­de lie­gen in die­se Zeit, nur weni­ge wur­den unter­sucht. Bei einem Schuß­wech­sel star­ben zwei FBI-Agen­ten, für ihren Tod büßt seit 41 Jah­ren (mit gefälsch­ten Bewei­sen ver­ur­teilt) der Akti­vist Leo­nard Pel­tier.

Für Pel­tier hat sich Den­nis Banks sein Leben lang ein­ge­setzt. Er leb­te in der Zeit des tra­gi­schen Zwi­schen­falls mit sei­ner Fami­lie auf dem Reser­vat, in Oglal­la unweit des Tat­orts. In den Pro­zes­sen zu Woun­ded Knee war er frei gespro­chen wor­den, allein die Cus­ter-Ankla­gen stan­den noch aus. Doch als er aus dem Mun­de von South Dako­tas Gou­ver­neur Wil­liam Jan­k­low hör­te, die ein­zi­ge Lösung des India­ner­pro­blems sei eine Kugel durch den Kopf der AIM-Füh­rer, such­te er das Wei­te. Kali­for­ni­ens Gou­ver­neur Jer­ry Brown gewähr­te ihm wäh­rend sei­ner Amts­zeit Asyl in Kali­for­ni­en. Acht Jah­re, in denen Den­nis mit­half, die DQ-Uni­ver­si­ty auf­zu­bau­en, acht Jah­re, in denen South Dako­tas Gou­ver­neur Ver­ur­teil­ten der leicht­kri­mi­nel­len Kate­go­rie die Opti­on anbot, statt ins Gefäng­nis nach Kali­for­ni­en zu gehen.

Dennis Banks und Bill Wahpepah, 1977 in San Francisco

Den­nis Banks und Bill Wah­pe­pah, 1977 in San Fran­cis­co (Foto: Claus Bie­gert)

Ich sah ihn dann zwei­mal in San Fran­cis­co wie­der, als er gera­de den Gedan­ken eines Lon­gest Walk ent­wi­ckel­te; Bill Wah­pe­pah stand ihm zur Sei­te.

Nie sah ich Den­nis mit Papier und Stift. Das Tele­fon war tech­no­lo­gisch adäquat zur indi­ge­nen, ora­len Tra­di­ti­on, und so war die Pla­nung ein nahe­zu pau­sen­lo­ser Dia­log zwi­schen den Küs­ten. Ich sah Den­nis spä­ter oft kurz vor einem Mee­ting, er ging die To Do-Lis­te durch, als wür­de er sie von einem Tele­promp­ter able­sen. Er war dar­in kei­ne Aus­nah­me. Bis heu­te hat sich die­se india­ni­sche Eigen­schaft erhal­ten. Wir wer­den sehen, ob die Twit­ter-Gene­ra­ti­on künf­tig die glei­che Gedächt­nis­schär­fe an den Tag legen wird, wenn sie aller digi­ta­len Hilfs­mit­tel beraubt sein soll­te.

Jer­ry Browns Nach­fol­ger war der Repu­bli­ka­ner Geor­ge Deuk­mei­jan, der bekannt gab, sei­ne ers­te Amts­hand­lung im Janu­ar 1983 wer­de sein, Den­nis Banks fest­zu­neh­men und nach South Dako­ta aus­zu­lie­fern. Ende Dezem­ber war Den­nis ver­schwun­den. Im gan­zen Land begann ein Rät­sel­ra­ten: Wo wür­de er unter­tau­chen, wo wie­der auf­tau­chen?

Ich tele­fo­nier­te von Mün­chen aus regel­mä­ßig mit Dewa­sen­ta, der Klan­mut­ter des Aal-Klans der Onon­da­ga Nati­on. Ihr Haus war zu mei­nem Zuhau­se gewor­den; immer wenn ich nach Onon­da­ga kam, bekam ich ihr Schlaf­zim­mer, sie zog auf die Wohn­zim­mer­couch. Das Tele­fo­nat zum Jah­res­wech­sel 198283 eröff­ne­te sie mit einer Fra­ge: Ob ich anru­fe, um mei­nen Besuch anzu­kün­di­gen, oder ein­fach so? Ein­fach so, sag­te ich, war­um fragst du? Becau­se your bed is taken, sag­te sie, und in ihrer Stim­me war ein humo­ri­ger Unter­ton zu hören. Oh, oh, sag­te ich. Wait till you hear this, sag­te sie, Den­nis Banks moved in.

Dennis Banks im Onondaga-Exil

Den­nis Banks im Onon­da­ga-Exil (Foto: Claus Bie­gert)

In der india­ni­schen Welt wuß­te man Bescheid, denn es gab nur einen Ort, an dem er sicher sein wür­de: das klei­ne Ter­ri­to­ri­um der sou­ve­rä­nen Onon­da­ga Nati­on in der Mit­te von New York Sta­te, dem poli­ti­schen und spi­ri­tu­el­len Zen­trum der Hau­de­no­sau­nee, auch bekannt als Kon­fö­de­ra­ti­on der Iro­ke­sen. Dort gewähr­te der Häupt­lings­rat ihm Asyl auf unbe­grenz­te Dau­er. Von dort aus orga­ni­sier­te er Läu­fe, soge­nann­te Sacred Runs, für Jugend­li­che. Er folg­te damit der india­ni­schen Tra­di­ti­on des Betens beim Ren­nen. Nach einem Jahr hat­te er von Onon­da­ga aus soviel Pro­mi­nenz und Medi­en­ver­tre­ter für sich gewon­nen, dass er ver­kün­de­te, er wer­de im Herbst 1984 sich in South Dako­ta den Behör­den über­ge­ben.

Am 8. Okto­ber 1984 waren wir alle in Cus­ter. Ich gehör­te zu den soge­nann­ten Cha­rac­ter Wit­nesses.

Banks Anwalt Wil­liam Kunst­ler aus New York City hat­te mich in den Kreis der 26 Zeu­gen beru­fen, die über ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen mit dem Ange­klag­ten spre­chen soll­ten. Sechs Stun­den dau­er­te die Anhö­rung von uns Zeu­gen. Rich­ter Young blieb nicht unbe­rührt und gab bekannt, es gäbe eine Min­dest­stra­fe für Auf­ruhr (riot) und das sei­en zwei Jah­re. Auch er müs­se Geset­ze ein­hal­ten. „Judge“, sag­te Banks, „ich weiß nicht, ob Sie je Dis­kri­mi­nie­rung und Ras­sis­mus zu spü­ren beka­men. Ich bekom­me sie zu spü­ren!“

Nach fast einem Jahr wur­de er im Som­mer 1985 frei gelas­sen. Wie­der auf frei­em Fuß, zog Den­nis alle Regis­ter: Er nahm Film­rol­len an (sein Woun­ded Knee-Part­ner Rus­sel Means war bereits in Holl­wood); nahm CDs auf (das Vor­bild von John Tru­dell ließ den AIM-Front­ak­ti­vis­ten kei­ne Ruhe), allein und spä­ter mit dem japa­ni­schen Musi­ker Kita­ro; star­te­te auf sei­nem Reser­vat Leech Lake ein Klein­un­ter­neh­men mit Wild­reis und Ahorn­sy­rup (nach dem Vor­bild von Wino­na LaDu­ke auf dem Reser­vat White Earth), hielt dort auch jähr­li­che Kanu-Wett­fahr­ten ab; er setz­te sich mit dem Schrift­stel­ler Richard Erdoes zusam­men und ver­öf­fent­lich­te sei­ne Bio­gra­fie (Ojib­wa War­ri­or: Den­nis Banks and the Rise oft he Ame­ri­can Indi­an Move­ment) und – da war er schon 79 – ließ sich als Vize-Kan­di­dat für die sozia­lis­ti­sche „Peace and Free­dom Par­ty“ auf­stel­len. Dazwi­schen sag­te er nie Nein, wenn ihn Akti­vis­ten zu ande­ren Brenn­punk­ten hol­ten: Mit dem US-Ex-Jus­tiz­mi­nis­ter Ram­sey Clark und der schwar­zen Autorin Ali­ce Wal­ker orga­ni­sier­te er ein Arz­nei­mit­tel­pro­gramm für Kuba; beim Rus­sel-Tri­bu­nal zu Paläs­ti­na saß er in der Jury; als in Ken­tu­cky Schän­dun­gen india­ni­scher Grä­ber bekannt wur­den, sorg­te er dafür, dass dort die Geset­ze ver­schärft wur­den.

Still saß er nie: Der Sacred Run war sein Mar­ken­zei­chen gewor­den. Er sorg­te immer dafür, dass mög­lichst alle vier Far­ben der Mensch­heit und mög­lichst vie­le Kul­tu­ren in einem Run ver­ei­nigt waren.

Claus Biegert und Dennis Banks, 1981 in San Francisco

Claus Bie­gert und Den­nis Banks, 1981 in San Fran­cis­co (Foto: Dick Ban­croft)

Als sein Leben sich dem Ende zu neig­te, war er nicht allein. Vie­le Frau­en haben sein Leben beglei­tet, die Zahl sei­ner Kin­der lie­ge zwi­schen 20 und 30, erzählt man sich. Kin­der und Kin­des­kin­der und deren Kin­der umring­ten sein Bett in der Mayo-Kli­nik in Roches­ter. Sie san­gen. Sie san­gen auch den AIM-Song. Der AIM-Song ist ein Lied der Che­yenne, den eine Fami­lie aus Mon­ta­na der Fami­lie von Ray­mond Yel­low Thun­der zum Geschenk gab, nach­dem man im Febru­ar 1972 Ray­mond tot und kas­triert im Kof­fer­raum eines Autos in Gor­don, Nebras­ka, gefun­den hat­te. Es war der Monat, in dem Den­nis in Cus­ter den Wider­stand eröff­net hat­te. Die Fami­lie Yel­low Thun­der gab den Song dann an das Ame­ri­can Indi­an Move­ment wei­ter. Wäh­rend im Hos­pi­tal der AIM-Song gesun­gen wur­de, laut und offen und kämp­fe­risch, wech­sel­te Den­nis die Wel­ten.

Ein Kreis hat­te sich geschlos­sen. Es war ein guter Tag zu ster­ben. Es war ein gutes Leben.

Claus Bie­gert


Claus Bie­gert ist deut­scher Jour­na­list, Autor und Fil­me­ma­cher und Ehren­mit­glied des Arbeits­krei­ses India­ner Nord­ame­ri­kas

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Claus Bie­gert — Ehren­mit­glied des Arbeits­krei­ses India­ner Nord­ame­ri­kas




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