Juni 28, 2017

Das Elend der Atta­wapi­skat (Kana­da) und ein mög­li­cher Aus­weg

2016 gewann das Schick­sal der Atta­wapi­skat kurz­zei­tig Auf­merk­sam­keit in den Medi­en. Grund war eine bei­spiel­lo­se Selbst­mord­wel­le. 101 Per­so­nen hat­ten inner­halb weni­ger Mona­te einen Selbst­mord­ver­such unter­nom­men – in einer Gemein­de von weni­ger als 2.000 Per­so­nen. Die meis­ten waren Jugend­li­che, unter ihnen Sher­i­dan Hoo­kimaw. Sie wur­de 13 Jah­re alt.

Ein har­tes Leben im hohen Nor­den

Die Ange­hö­ri­gen der Atta­wapi­skat First Nati­on leben im Nor­den von Onta­rio, in einem abge­le­ge­nem Gebiet mit sub­ark­ti­schem Kli­ma, zwi­schen Atta­wapi­skat River und der James Bay. Wenn man von den Lebens­be­din­gun­gen in die­sem Reser­vat erfährt, mag man das kaum glau­ben: Die Men­schen leben auf engs­tem Raum in Hüt­ten oder Con­tai­nern, oft fällt die Strom­ver­sor­gung aus. Die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit liegt bei 70 Pro­zent, vie­le haben ange­sichts man­geln­der oder unge­eig­ne­ter Aus­bil­dung für den Lebens­all­tag im hohen Nor­den kaum öko­no­mi­sche Per­spek­ti­ven – Jobs sind beschränkt und den­noch wer­den tra­di­tio­nel­le Lebens­wei­sen – ein Leben von und mit natür­li­chen Res­sour­cen aus der Umge­bung – zuneh­mend abge­lehnt.

Die loka­le Gemein­schaft lebt in soge­nann­ten „gemisch­ten öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­sen“. Vie­le Mit­glie­der gehen noch der Jagd auf Kari­bus, Elchen und ande­rem Wild nach oder fan­gen Fische. Waren wer­den über einen loka­len Super­markt ein­ge­kauft. Bezahlt wird mit Mit­teln aus staat­li­chen Sozi­al­för­de­run­gen oder aus diver­sen Geschäf­ten, zum Bei­spiel mit Fel­len, ver­mehrt aber auch durch den Ver­kauf von Alko­hol und ille­ga­len Dro­gen.

Die Jugend – gefan­gen zwi­schen zwei Wel­ten

Bis in die 1990iger Jah­re wur­den Kin­der den Eltern ent­ris­sen und in weit ent­fern­te Inter­na­te gesteckt, die das Ziel der „Umer­zie­hung“ hat­ten. Die Kin­der wur­den in den „Resi­den­tal Schools“ ihrer Wur­zeln beraubt. Es war bei Stra­fe ver­bo­ten, die eige­ne Spra­che zu spre­chen, vie­le wur­den miss­han­delt, vie­le sexu­ell miss­braucht und vie­le von ihnen getö­tet. Man weiß noch immer nicht, wie vie­le Kin­der in den Resi­den­tal Schools star­ben. Immer wie­der wer­den Mas­sen­grä­ber in der Nähe der ehe­ma­li­gen Schu­len mit Kin­dern ent­deckt.

Die­ses Trau­ma sitzt tief und prägt bis heu­te Lebens­rea­li­tä­ten von Indi­vi­du­en und Gemein­schaft in Atta­wapi­skat. Die Jugend­li­chen schwe­ben heu­te gleich­sam zwi­schen den Wel­ten – sie kön­nen den Anschluss an die eige­nen Tra­di­tio­nen schwer fin­den und der Anschluss an die Welt der Wei­ßen gelingt vie­len eben­so nicht. Vie­le der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on inter­es­sie­ren sich immer weni­ger fürs Jagen, son­dern erseh­nen einen urba­nen Lebens­stil, ver­bun­den mit der Aus­übung bezahl­ter Arbei­ten im Pro­duk­ti­ons- oder Dienst­leis­tungs­sek­tor. Aller­dings wir­ken Erfah­run­gen in grö­ße­ren Städ­ten wie Min­nea­po­lis sehr oft des­il­lu­sio­nie­rend auf indi­ge­ne Jugend­li­che, wel­che dort mit har­tem Kon­kur­renz­druck und oft auch Ras­sis­mus zu kämp­fen haben.

Gefan­gen zwi­schen zwei Wel­ten und ange­sichts man­geln­der Per­spek­ti­ven zur per­sön­li­chen Ver­wirk­li­chung, sehen so man­che Jugend­li­che Selbst­mord als letz­ten Aus­weg und Pro­test an ihrer sozia­len Lage.

Jackie Hoo­kimaw-Witt und Nor­bert Witt – Bot­schaf­ter der Atta­wapi­skat

Die Atta­wapi­skat Jackie Hoo­kimaw-Witt und ihr Ehe­mann Nor­bert Witt, ein gebür­ti­ger Bay­er, ver­su­chen durch Öffent­lich­keits­ar­beit, Prä­senz in sozia­len Medi­en und auch per­sön­lich durch Vor­trä­ge, Ver­an­stal­tun­gen und Vor­le­sun­gen an Uni­ver­si­tä­ten auf die pre­kä­re Situa­ti­on der Atta­wapi­skat auf­merk­sam zu machen. Die kana­di­sche Regie­rung und zustän­di­ge Insti­tu­tio­nen wer­den ihrer Mei­nung den viel­sei­ti­gen Pro­ble­ma­ti­ken nicht gerecht.

Jackie Hookimaw-Witt und Norbert Witt

Jackie Hoo­kimaw-Witt und Nor­bert Witt

Die Atta­wapi­skat Jackie Hoo­kimaw-Witt und ihr Ehe­mann Nor­bert Witt, ein gebür­ti­ger Bay­er, ver­su­chen durch Öffent­lich­keits­ar­beit, Prä­senz in sozia­len Medi­en und auch per­sön­lich durch Vor­trä­ge, Ver­an­stal­tun­gen und Vor­le­sun­gen an Uni­ver­si­tä­ten auf die pre­kä­re Situa­ti­on der Atta­wapi­skat auf­merk­sam zu machen. Die kana­di­sche Regie­rung und zustän­di­ge Insti­tu­tio­nen wer­den ihrer Mei­nung den viel­sei­ti­gen Pro­ble­ma­ti­ken nicht gerecht.

Jackie und Nor­bert set­zen sich außer­dem für die Imple­men­tie­rung bzw. Durch­set­zung stren­ger Umwelt­richt­li­ni­en gegen­über dem lokal ope­rie­ren­den Mie­nen­kon­zern DeBeers ein. Die­ser hat nach­weis­lich die loka­len Fluss­sys­te­me auf­grund von unvor­sich­ti­ger Dia­mant­ge­win­nung mit Queck­sil­ber ver­un­rei­nigt und damit die Fisch­po­pu­la­tio­nen ver­gif­tet.

Der Film: „Kis­ken­a­ma­ha­ge­win (The Way of Lear­ning)“

Anfang Juni prä­sen­tier­ten Jackie und Nor­bert ihren Film „Kis­ken­a­ma­ha­ge­win (The Way of Lear­ning)“ in Wien. Der Film spricht die tris­te Situa­ti­on der Jugend­li­chen der Atta­wapi­skat an und bie­tet gleich­zei­tig einen Ansatz in eine hoff­nungs­vol­le Rich­tung an.

Es wird das kana­di­sche Bil­dungs­sys­tem mit der frü­her übli­chen tra­di­tio­nel­len Aus­bil­dung von Jugend­li­chen ver­gli­chen. Hier die theo­re­tisch fun­dier­te Aus­bil­dung zur Inte­gra­ti­on in der Welt der kana­di­schen Main­stream-Gesell­schaft, unter­ge­ord­net einer natio­na­len Iden­ti­täts­bil­dung zur Vor­be­rei­tung auf den kapi­ta­lis­ti­schen Arbeits­markt. Dort die tra­di­tio­nel­le Aus­bil­dung über Selbst­er­fah­rung und Leh­ren der Älte­ren, um in der Gemein­schaft ein wert­vol­les Mit­glied zu wer­den und den eige­nen Platz zu fin­den.

Szenenbild aus dem Film „Kiskenamahagewin (The Way of Learning)“

Sze­nen­bild aus dem Film „Kis­ken­a­ma­ha­ge­win (The Way of Lear­ning)“

Im Film wird auch über erfolg­rei­che Ver­mitt­lung von tra­di­tio­nel­lem Wis­sen in Schu­len berich­tet. Eine Ver­än­de­rung des Bil­dungs­sys­tems, wel­che indi­ge­nes Wis­sen und Tra­di­tio­nen mit ein­schließt, könn­te indi­ge­nen Kin­dern Stolz und Wis­sen über die eige­nen Wur­zeln und eige­ne Iden­ti­tät ver­mit­teln. So könn­te mit dazu bei­getra­gen wer­den, die Kluft zwi­schen den Wel­ten, in wel­cher vie­le Jugend­li­che sich wie­der fin­den, zu ver­rin­gern.

Sher­i­dan Hoo­kimaw – Jackies Nich­te – wäre die­ses Jahr 15 Jah­ren alt gewor­den. Es ist zu wün­schen, dass ande­ren Jugend­li­chen der Atta­wapi­skat ein ähn­li­ches Schick­sal erspart bleibt.

Ange­li­ka Froech und Georg Berg­tha­ler


Der Film „Kis­ken­a­ma­ha­ge­win (The Way of Lear­ning)“ ist auf You­tube zu sehen:
https://www.youtube.com/watch?v=qQXWiZawvRk

Jackie Hoo­kimaw-Witt ist über Face­book und Twit­ter erreich­bar:
https://www.facebook.com/jackie.hookimaw
https://twitter.com/muskegesko?lang=de

Jüngst enga­giert sich Jackie sich für gleich­be­rech­tig­te Ver­sor­gung indi­ge­ner Kin­der durch das kana­di­sche Gesund­heits­sys­tem. Im Gegen­satz zu kana­di­schen Kin­dern haben die­se nur ein­ge­schränk­ten Zugang zu ärzt­li­cher Pfle­ge und Medi­ka­men­ten.
Hier der Link zu einer von Jackie pro­mo­te­ten Peti­ti­on, die mit­tels Unter­schrif­ten Druck auf Ent­schei­dungs­trä­ger und dadurch eine poli­ti­sche Ver­än­de­rung in die­ser Hin­sicht erwir­ken möch­te:
http://www.broadbentinstitute.ca/fn_chrt



{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Bleibe mit uns in Kontakt und melde dich zu unserem Newsletter an:

Unser „Newsletter“ ist ein Informationsdienst über unsere Tätigkeiten, zu Veranstaltungen, über neue aktuelle und historische Beiträge. 

Informationen zum Datenschutz ➪ Datenschutzerklärung