Dezember 14, 2015

John Tru­dell — indi­ge­ner Akti­vist und Poet — Nach­ruf

Tal­king Rock aus dem roten Ame­ri­ka
– Der india­ni­sche Wider­stands­kämp­fer und Pop-Poet John Tru­dell ist tot.

Sei­ne Kar­rie­re als Poet und Pop-Star begann für den india­ni­schen Wider­stands­kämp­fer 1979, dem Jahr, in dem er in Washing­ton die US-Flag­ge ver­brann­te. Ein Jahr­zehnt davor war John Tru­dell Wort­füh­rer der „Indi­ans of all Tri­bes“ – India­ner aller Stäm­me – , die die ehe­ma­li­ge Gefäng­nis­in­sel Alca­traz besetz­ten, um in den ehe­ma­li­gen Ker­kern eine india­ni­sche Uni­ver­si­tät ein­zu­rich­ten. Er star­te­te den Insel­sen­der „Radio Free Alca­traz“, bis die Staats­ge­walt nach 19 Mona­ten das alter­na­ti­ve Pro­jekt mit Gewalt been­de­te.

Anschlie­ßend trat er dem Ame­ri­can Indi­an Move­ment (AIM) bei, jener pan-india­ni­schen Wider­stands­be­we­gung, die sich als Nicht-Orga­ni­sa­ti­on bezeich­ne­te und quer durch Nord­ame­ri­ka die geschwäch­ten Stäm­me ver­ein­te und immer wie­der mit spek­ta­ku­lä­ren, mili­tan­ten Aktio­nen auf sich auf­merk­sam mach­te. 1946 in Oma­ha, Nebras­ka als Sohn eines Dako­ta und einer Mexi­ka­ne­rin gebo­ren, hat­te er in Viet­nam gekämpft, bevor er die Sei­ten wech­sel­te und elo­quent die USA der Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und die Indus­trie­ge­sell­schaft der Erd­zer­stö­rung anklag­te. Sechs Jah­re lang lei­te­te er AIM.

Im Reser­vat Pine Ridge im US-Staat South Dako­ta herrsch­te in die­sen Jah­ren Bür­ger­krieg. Tra­di­tio­nel­le Lako­ta (gemein­sam mit Dako­ta und Nako­ta als Sioux bekannt), die die Regie­rungs­form ablehn­ten, die das Bureau of Indi­an Affairs (BIA) ein­ge­führt hat­te, stan­den sich regie­rungs­treu­en Stam­mes­mit­glie­dern gegen­über, den soge­nann­ten „Good Indi­ans“. Das FBI ver­sorg­te die „Guten“ mit Muni­ti­on und Bier und nutz­te den Zwist, um in der Zeit rund 2000 ihrer „Spe­cial Agents“ im Reser­vat aus­zu­bil­den. In die­se Ära fällt der berühm­te Schuß­wech­sel vom 26. Juni 1975, bei dem zwei FBI-Agen­ten und ein jun­ger India­ner tot zurück blie­ben. Als Mör­der der Agen­ten wur­de Leo­nard Pel­tier aus­ge­sucht und zu zwei­mal lebens­läng­lich ver­ur­teilt – Bewei­se gab es nur gefälscht. Pel­tier, seit 1976 in Haft, wird von Amnes­ty Inter­na­tio­nal als poli­ti­scher Gefan­ge­ner geführt. Tru­dell, schon immer wort­ge­wal­tig und dies auch in der Tat, ver­brann­te als Pro­test den Ster­nen­ban­ner vor der Zen­tra­le des FBI.

In der fol­gen­den Nacht fing sein Haus auf dem Shosho­ne-Reser­vat Duck Val­ley im Bun­des­staat Neva­da Feu­er; sei­ne schwan­ge­re Frau Tina, sei­ne drei Kin­der und sei­ne Schwie­ger­mut­ter ver­brann­ten. Das Feu­er wur­de nie unter­sucht. In Tru­dells Augen war es ein Rache­akt des FBI; Bewei­se dafür gab es kei­ne. Er war nah dar­an, sein Gleich­ge­wicht für immer zu ver­lie­ren. Um sich zu ret­ten, griff der Akti­vist zu Papier und Stift und heil­te sich durch Poe­sie. Er schrieb und schrieb und pro­du­zier­te „Lines“ – Zei­len –, wie er sich aus­drück­te. Sei­ne ers­ten Büch­lein sind Kult; eines hieß „Stick Man“.

Nach einer Lesung in Los Ange­les, Anfang der Acht­zi­ger war das, kam ein India­ner aus dem Publi­kum auf ihn zu und sag­te, er hät­te die Musik zu Johns Wor­ten. Es war der Sän­ger und Gitar­rist Jes­se Ed Davis, ein Kio­wa, in der Welt des Pop seit Geor­ge Har­ri­sons „Con­cert for Ban­gla­desh“ ein bekann­ter Name. John und Jes­se pro­du­zier­ten ihr ers­tes Tape: „Gra­fit­ti Man“. Der Wort­künst­ler warf sei­ne Lines auf den Klang­tep­pich, den der Rock-Musi­ker vor ihm aus­brei­te­te.

Dann ging alles sei­nen Gang. Ein Freund ließ bei einer Par­ty die Kas­set­te in die Rock­ta­sche von Bob Dylan glei­ten und der mel­de­te sich schon bald, ließ wis­sen, nur gewis­se Talen­te sei­en Meis­ter im Tal­king Rock, Talen­te wie Lou Reed oder eben John Tru­dell. Eine Zeit­lang ließ Dylan in den Pau­sen sei­ner Kon­zer­te Tru­dells Tape lau­fen. Jes­se Ed Davis hat­te gute Kon­tak­te in der Musik­bran­che, die ers­ten gemein­sa­men Auf­trit­te wur­den gebucht – da fand man den Musi­ker am Boden in einem Wasch­sa­lon: Über­do­sis. Tru­dell schrieb neue „lines“ und stell­te eine neue Trup­pe zusam­men, Jack­son Brown half ihm dabei, er fand zusätz­lich einen india­ni­schen tra­di­tio­nel­len Sän­ger, Quilt Man, und pro­du­zier­te Album um Album; ins­ge­samt vier­zehn, drei­mal erhielt er den Nati­ve Ame­ri­can Music Award. Sei­ne Töne wur­den von Mal zu Mal prä­zi­ser, schär­fer, radi­ka­ler ohne nie die Wer­te zu ver­ges­sen, auf die es ihm ankam: Lie­be und Ver­ant­wor­tung. Er begann, in Fil­men auf­zu­tau­chen, schließ­lich wur­de ein Film über ihn gedreht und preis­ge­krönt. Zuletzt grün­de­te er zusam­men mit dem Folk­sän­ger Wil­lie Nel­son das „Hemp­s­tead Pro­ject Heart“, um den Hanf­an­bau für Bau­ma­te­ri­al und Klei­dung vor­an zu trei­ben.

John Tru­dell starb am Diens­tag an Krebs in sei­nem Haus im San­ta Cla­ra Coun­ty in Nord-Kali­for­ni­en.

Claus Bie­gert

Claus Bie­gert ist deut­scher Jour­na­list, Autor und Fil­me­ma­cher und Ehren­mit­glied des Arbeits­krei­ses India­ner Nord­ame­ri­kas

➪ Link zur Web­site von Claus Bie­gert

➪ Claus Bie­gert — Ehren­mit­glied des Arbeits­krei­ses India­ner Nord­ame­ri­kas



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