Mehr als ein gutes Jahrhundert lang wurde die geopolitische Arena des amerikanischen Südwesten nicht von den europäischen Siedlergesellschaften, sondern den dort ansässigen indianischen Völkerschaften, allen voran den Comanchen, dominiert.
La Comancheriá tauften die spanischen Offiziellen Neu-Spaniens das ausschweifende Prärie-Territorium, das von den Stämmen der Comanchen kontrolliert wurde.
Im Folgenden sollen Geschichte und System dieses indianischen Reichesskizziert werden.
Im Februar des Jahres 1847 zog eine Delegation deutscher Kolonisten unter der Führung von John O. Meusebach, begleitet von mexikanischen Maultierhändlern und amerikanischen Landvermessern von Fredericksburg, Texas, aus gen Westen zum San Saba-Fluss. Dort hatte der Adelsverein den Fisher-Miller-Land-Grant, bestehend aus 1,2 Millionen Hektar Land, zur deutschen Besiedelung erworben.
Diese Reise ins versprochene Land führte die Expedition in das Herz der Comanchería, jenem weitläufigen Gebiet in den südlichen Great Plains, das vom indianischen Nomadenvolk der Comanchen kontrolliert wurde. Ihr Ziel war es, über die sesshafte Nutzung des Landes mit seinen tatsächlichen Herren zu verhandeln.
Nachdem es gelungen war, die Comanchen glaubhaft von den friedfertigen Absichten der Siedler zu überzeugen, schlugen Comanchen und Meusebach-Expedition ihre Lager an gegenüberliegenden Uferstellen des San Saba auf. Als Nachzügler der Delegation eintrafen – der Indian Commissioner Robert Neighbours und der Delaware-Häutling Jim Shaw, deren Kenntnisse über die Gebräuche und Sprache der Comanchen das deutsche Anliegen unterstützen sollten, sowie der Geologe Ferdinand Roemer, dessen Reisebericht über seinen mehrjährigen Aufenthalt in den USA eine Beschreibung jener Verhandlungen mit den Comanche enthält – hatten die Comanchen und die Meusebach-Expedition längst angefangen, Waren auszutauschen und miteinander in Kontakt zu treten; die Comanchen öffneten den Neuankömmlingen ihre Tipis.
Die tatsächlichen Verhandlungen, die erst einige Tage später stattfanden, nachdem die Expedition weitere Teile des nominell ihnen zustehenden Landes erkundet hatten und die wichtigen Häuptlinge der den Osten Texas‘ bewohnenden Comanchenstämme am San Saba eingetroffen waren, endeten für John O. Meusebach mit einem Erfolg.
Im Gegenzug zu einer Erbringung von Leistungen im Wert von insgesamt 3000 Dollar und einer Öffnung der zukünftigen Kolonien für Händler der Comanchen, wurde den Deutschen die Vermessung und Besiedlung des Gebietes erlaubt. Am 9. Mai desselben Jahres unterzeichneten die Häuptlinge der Comanchen und Vertreter der deutschen Siedler einen Vertrag in Fredericksburg, der die getroffenen Beschlüsse ratifizierte.
Diese Episode in der Geschichte des amerikanischen Siedlerkolonialismus illustriert hervorragend die geopolitischen Realitäten im amerikanischen Südwesten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Der Fisher-Miller-Land Grant, der das Land für die Kolonisierung durch Siedler:innen aus den Deutschen Ländern, Österreich, der Eidgenossenschaft und Skandinavien reservierte, wurde 1842 von der Republik Texas genehmigt.
Das im Grant enthaltene Land erstreckte sich auf über 1214 Hektar zwischen dem Llano und dem Colorado River. Kontrolliert wurde es allerdings nicht von der jungen texanischen Republik, sondern von den Penateka, einem der großen östlichen Comanchen-Stämme.
Als 1845 die Landrechte an den Adelsverein verkauft wurden, hatten die USA gerade erst Texas annektiert und als die Meusebach-Expedition am San Saba eintraf, führten die Vereinigten Staaten Krieg mit Mexiko um die nominelle territoriale Kontrolle im Südwesten des Kontinents.
All das spielte für die Siedler:innen, als deren Repräsentant Meusebach auftrat, nur eine geringe Rolle. Für sie, die dieses Land bewohnen wollten, war in letzter Konsequenz entscheidend, wer die tatsächliche Territorialkontrolle ausübte. Es war den Siedlern Land von Autoritäten versprochen worden, das diese Autoritäten de facto gar nicht kontrollierten. Im Endeffekt waren es weder die Republik Texas noch die Vereinigten Staaten, die die Besiedelung zwischen Llano und Colorado River ermöglichten, sondern die Comanchen.
Die Tolerierung europäischer Siedler:innen inmitten der Comanchería darf weder als Unfähigkeit zum Erkennen einer ihre Lebensweise bedrohenden Gefahr noch als erkauft durch die den Vertragsabschluss festigenden Zahlungen und Geschenke interpretiert werden. Stattdessen muss das Einverständnis als Ausdruck eines in der Comanchería üblichen modus vivendi verstanden werden, der, von den Comanchen diktiert, das Zusammenleben sowohl innerhalb als auch an den Rändern ihres Territoriums zwischen den verschiedenen indianischen wie kolonialen Gesellschaften gestaltete.
Die Comanchería funktionierte als Netzwerk, das Ströme an Waren und Menschenüber einen geografisch weit ausgedehnten Raum hinweg zum ökonomischen Nutzen der Comanchen bündelte. Die Comanchen arrangierten sowohl ihre indigenen Nachbarvölker wie auch die europäischen Siedlergesellschaften Neu-Mexikos und Texas‘, mit denen sich ihre Territorialansprüche stets überschnitten, zu ihrem eigenen Vorteil.
Das kinetic empire der Comanchen
Die Comanchen migrierten zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus den nördlichen und zentralen Plains in die südlichen. Dort verbündeten sie sich mit den sprachverwandten Ute – das Wort Comanche ist aus der Sprache der Ute entlehnt und trägt die Bedeutung von Fremden, mit denen man Gemeinsamkeiten teilt – und erschienen damit auch am Horizont der spanischen Kolonialverwaltungen Neu-Mexikos und Texas‘.
Die Konföderation mit den Ute eröffnete den Comanchen den Zugang zu europäischen Warenströmen. Die Akquirierung von Pferden und Feuerwaffen führte zu einer tiefgreifenden kulturellen Transformation. Bis 1730 hatten die Comanchen genug Pferde eingefangen, erstanden oder erplündert, um das ganze Volk in den Sattel zu hieven. Nun hochmobil, drängten die Comanchen immer tiefer in das weite offene Land der südlichen Plains, organisierten ihre Lebensweise nomadisch vollständig um die Bisonherden und begannen am weitläufigen Austausch von Waren, Tieren und Sklav:innen zwischen indianischen Völkern auf beiden Seiten der kolonialen Grenzverläufe sowie den spanischen und französischen Siedlergesellschaften teilzuhaben.
Militärische Überlegenheit, die nicht zuletzt auf geschickten Bündnisschlüssen mit indianischen Nachbarn fußte, ermöglichte es den Comanchen, Apachen und Osagesaus ressourcenreichen Ökosystemen und als bevorzugte Handelspartner der Spanier bzw. Franzosen zu verdrängen.
Den spanischen Kolonialverwaltungen wurden von den Comanchen durch Überfälle und Plünderungszüge für sie vorteilhafte Verträge aufgezwungen, die die Märkte Taos und San Antonios für die Comanchen öffneten und gleichzeitig hohe Zahlungen zur Aufrechterhaltung eines brüchigen Friedens versprachen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war Neu-Mexiko dadurch de facto in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zur Comanchería geraten.
Mit dem Zusammenbruch der spanischen Kolonialherrschaft in Mittel- und Nordamerika und der mexikanischen Unabhängigkeit ab 1821 veränderte sich das geopolitische Kräfteverhältnis schlagartig.
Die mexikanische Zentralregierung konnte den Schutz der nördlichen Grenzen nicht mehr gewährleisten. Die Friedensverträge der spanischen Offiziellen konnten nicht allumfassend verlängert werden. Mexiko versäumte die Aufrechterhaltung der Sachleistungen und Zahlungen, die von den Comanchen als Zeichen guter Absichten verstanden wurden. So unternahmen die Comanchen ab den 1820ern zunehmend ausgedehnte Raubzüge gegen Mexiko, bei denen neben der Erbeutung von Pferden und Maultieren, die in die Vereinigten Staaten verkauft wurden, auch die Gefangennahme von Mexikaner:innen im Vordergrund standen, denen ein Schicksal als Sklav:innen mit der Möglichkeit einer Integration und Adoption in die Gesellschaft der Comanchen bevorstand.
Gleichzeitig hielt Neu-Mexiko den Handel mit den Comanchen aufrecht – wohl um von allzu ausgedehnten Plünderungszügen verschont zu bleiben – was diesen wiederum weiteren Anreiz bot, andere mexikanische Provinzen anzugreifen. Die Öffnung des mexikanischen Texas‘ für anglo-amerikanische Kolonisten war eine direkte Reaktion auf die massiven Schwierigkeiten, die die Überfälle der Comanchen und ihrer Verbündeter dem Überleben der Provinz bereiteten.
In den 1830ern und 1840ern erreichten die Überfälle der Comanchen auf Mexiko ihren Höhepunkt. Der us-amerikanische Historiker Brian DeLay hat in seiner Monografie „War of a Thousand Deserts“ nachgewiesen, dass diese Raubzüge der Comanchen, wie auch die anderer indianischer Völker wie Apachen und Navajos, den mexikanischen Norden bis zum Ausbruch des Krieges von 1846–1848 für die vorrückenden amerikanischen Truppenverbände regelrecht sturmreif geplündert hatten.
Auch der Gadsden Purchase im Jahr 1854, der US-amerikanische Landerwerb, der den noch heute gültigen Grenzverlauf zwischen Mexiko und den USA endgültig zementierte, kann ebenfalls als unter dem Druck indianischer Raub- und Plünderungszüge, die nach den Konditionen des Friedensvertrags von 1848 von US-amerikanischer Seite aus zu unterbinden waren, abgeschlossen verstanden werden. Bevor sie einander im Weg standen, waren die Expansion der USA und die der Comanchería ineinander verzahnte Prozesse.
Die Vertreibung indianischer Stämme hinter den Mississippi brachte den Comanchen neue Nachbarn; das neu eingerichtete Indian Territory grenzte an die Comanchería.
Um Konflikten vorzubeugen, traten die USA deshalb ab 1834 erstmals in offizielle Verhandlungen mit den Comanchen und den mit ihnen alliierten Wichita, die 1835 in einem Vertragsabschluss mündeten. Dieser enthielt neben Bekenntnissen zum friedlichen Zusammenleben der indianischen Nachbarnationen auch Zahlungsversprechen an die Comanchen und das Zugeständnis zu einer eigenständigen Außenpolitik gegenüber Mexiko. In der Folge integrierten die Comanchen viele Angehörige und teilweise auch ganze Stämme dieser ins Indian Territory gepferchten Völker in die Comanchería.
Ein Abriss ihrer Geschichte bis zum Zenit ihrer Macht zeigt nicht nur wie die Comanchen eine Gefahr für das Überleben kolonialer Siedlungsprojekte an den Grenzen darstellten, sondern auch wie diese deren politisches und wirtschaftliches Handeln bestimmten, Abhängigkeiten kreierten und auf deren historische Entwicklung einwirkten.
Die Comanchen verfügten ganz offensichtlich über eine politische Potenz, die es ihnen erlaubte, Entscheidungsträger in Santa Fe, San Antonio, Mexiko-Stadt, Houston und Washington D.C. zur Reaktion zu zwingen und genügend ökonomische Gravitation, um als wichtige Handelspartner zu gelten.
Damit formten sie die Lebensrealitäten einer Vielzahl von ethnisch höchst unterschiedlichen Gesellschaften und Entitäten. In der geopolitischen Arena des nordamerikanischen Südwestens war die Comanchería eine bestimmende Kraft, die territoriale Aushandlungs- und Entwicklungsprozesse entscheidend mitgestaltete.
Der finnische Historiker Pekka Hämäläinen bezeichnete diesen Machtkomplex der Comanchería als Comanche empire. Diese Revision der oftmals als Hürde für US-amerikanische Expansion betrachteten Comanchen als hegemoniale Ethnie ihres eigenen Imperiums, zielte auf ein Hervorheben indianischer agency und Souveränität sowie darauf, den Militarismus und Expansionismus der Comanchen nicht als Reaktion auf den Zusammenstoß mit den europäischen Mächten darzustellen, sondern als diesen zu eigen. Dadurch konnte eine Geschichte der Comanchen geschrieben werden, der keine Teleologie anhaftete, innerhalb derer die Verdrängung und Vernichtung der indigenen Lebenswelt durch den nordamerikanischen Siedlerkolonialismus dem Lauf der Dinge immanent ist.
Das Verständnis der Comanchería als kinetic empire weist diese als Territorialprojekt aus, dessen Expansion von einem autonomen kulturellen Motor der Comanchen vorangetrieben wurde. Der Begriff lenkt die Aufmerksamkeit auf die spezifischen imperialistischen Praktiken der Comanchen, die sich vor allem in den von ihnen erhofften Endergebnissen von denen „herkömmlicher“ Empires unterschieden:
„Wohingegen traditionell als Imperien verstandene Reiche dadurch regierten, die Dinge starr und vorhersagbar zu gestalten, regierten die Comanchen dadurch, sie fluide und formbar zu halten.“
(Whereas more traditional imperial powers ruled by making things rigid and predictable, Comanches ruled by keeping them fluid and malleable)
[Hämäläinen 2008, S.4]
Der Begriff des kinetic empire markiert die Mobilität der Comanchen als die zentrale Charakteristik, die das Wesen der Comanchería bezeichnet. Die Comanchen stellten Machtansprüche auf Mobilität und Ressourcenzugriff anstatt auf absolute Autorität über einzelne Landstriche zu bauen. Die Kontrolle über einzelne ressourcenreiche Ökosysteme, wie die Big Timbers an den Oberläufen des Arkansas Rivers oder die Büffeljagdgründe im Westen Texas‘, über Zugänge zu Handelsknotenpunkten und über die diese geografischen Punkte verbindenden Routen, war das Machtfundament der Comanchen und prägte ihr Verständnis von Raum und – aufgrund der saisonal unterschiedlichen Bedeutung dieser Orte – auch Zeit, mit dem sich alle Akteure im Gravitationsfeld der Comanchería zu arrangieren hatten. Die Comanchen waren genauso, wenn nicht sogar mehr, Wirtschafts- wie Militärmacht. Ihre Strategien zur Machtfestigung und ‑ausdehnung, die sie auszeichnende Mobilität und ihr inneres soziales Gefüge basierten auf einer Aneignung und (Um-)Verteilung von Menschen, Tieren, Ressourcen und Waren, die entlang eines komplexen, dynamischen Verständnisses von Verwandtschaftsverhältnissen und Gruppenzugehörigkeiten erfolgte.
Die Imperiale Logik der Comanchería
„Einer der Häuptlinge erwiderte darauf mit vieler Würde im Ganzen Folgendes: Die Herzen seines Volkes seien unruhig gewesen, als sie die vielen fremden Leute gesehen, die sich nicht vorher angekündigt und deren Absicht sie nicht gekannt hätten; doch jetzt, da sie wüßten, daß sie als Freunde gekommen seien und was sie wollten, sei Alles gut. Darauf wurde vor dem vornehmsten Häuptlinge eine Anzahl Geschenke niedergelegt, und dieser vertheilte sie unter die anderen Häuptlinge und Krieger.“
[Roemer 1849, 297]
Blaue Wolldecken, Baumwollhemden, Messingdrähte, Tabak. Mit diesen Geschenken erwarb die Meusebach-Delegation die Gunst der Comanchen. Für diese stellten die Präsente keine Form der „Bestechung“ dar, sondern als Zeichen des guten Willens der Siedlergemeinschaft, eine freundschaftliche Beziehung mit den Comanchen unterhalten zu wollen.
Innerhalb der kulturellen Logik der Comanche stellten Handel und Kommerz Formen des sozialen Austausches dar. Der Fluss von Waren innerhalb der Comanchería basierte auf der Redistribution von Ressourcen an Menschengruppen, zu denen man sich in einem familiären Naheverhältnis wähnte, das allerdings keine Blutsverwandtschaft erforderte. Gehandelt wurde nur mit solchen Gruppen, mit denen man einen sozialen Ausgangspunkt teilte. Diese Grundlage wurde zwischen Fremden durch das Übermitteln von Geschenken hergestellt. Das an sie entrichtete Geschenk bewies den Comanchen die positiven Absichten der Fremden, die so zu Freunden bzw. fiktiver Verwandtschaft werden konnten. Um den französischen Sozialanthropologen Marcel Mauss zu paraphrasieren, war dieses Aushändigen von Gaben in der Wirtschafts- und Rechtsordnung der Comanchen gleichbedeutend mit einem Vertragsabschluss zwischen Individuen oder, wie in dem Fall der Meusebach-Delegation, Kollektiven. Ausgetauscht wurden daher nicht nur Waren, sondern Höflichkeiten, Rituale, Menschen und Dienste.
Der sozial motivierte Warenaustausch bestimmte nicht nur den Kontakt zu anderen Gruppierungen und Völkern, sondern bestimmte auch die innere Verfasstheit der Comanchen. Die Gliederung der Comanchen in Stämme, die sich wiederum in kleinere Verwandtschaftskonglomerate und noch kleinere Familiengruppen aufteilten, basierte auf ökonomischer Spezialisierung, die sich ebenfalls im in den jeweiligen Demonymen niederschlug. So handelte es sich bei den Yamparika (Yampatʉhka) wortwörtlich um „Wurzelesser“, wohingegen die Penateka (Penatʉka), mit denen Meusebach verhandelte, den Honig gustierten und die Hoipi (Hʉpenʉʉ) als „Holzleute“ bekannt waren, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Entsprechend ihrer geografischen Beheimatung produzierten, erstanden oder raubten diese Gruppierungen Güter und Waren mit denen der Mangel anderer Comanche-Gruppen an diesen Produkten ausgeglichen wurde.
Im intraethnischen Kontakt hießen sich Comanche einander Geschwister, um auf die innerhalb der Verwandtschaftslogik für alle Comanche postulierte Abstammung von einem gemeinsamen Urahnen zu verweisen. Dies ermöglichte fluiden, dauerhaften Austausch und Mobilität zwischen den einzelnen Familieneinheiten, gleichzeitig boten die weitläufigen Verwandtschaftsnetzwerke Schutz und Rückhalt gegen Bedrohungen, die als gemeinsame Feinde aller Comanchen betrachtet wurden.
Die Ausweitung dieses System der Verwandtschaftsbeziehungen auch auf Nicht-Comanchen legte den Grundstein für die Expansion der Comanchería. Die Allianz mit den Ute, mit denen auf sprachlicher Ebene nachweislich ein gemeinsamer kultureller Nenner bestand, manifestierte sich in Eheschließungen und daraus entstehenden Verwandtschaftsnetzwerken, über die von den Ute im Kontakt mit dem spanischen Kolonialreich erlernten pastoralen Kulturtechniken an die Comanchen weitergegeben wurde. Es erfolgten ebenso Heiraten – oder zumindest Verbindungen aus denen Kinder hervorgingen – mit Angehörigen der kolonialen Siedlergesellschaften Texas‘ und Neu-Mexikos genauso wie mit Angehörigen anderer indigener Völker, insbesondere jener die man als Verbündete verstand.
Wie sich Prozesse der Inkorporation anderer indianischer Völker in die Comanchería ereigneten, darüber geben die mündlich tradierten historischen Erzählungen der Comanchen Aufschluss. Die in den 1950ern vom Comanchen-Politiker Francis Joseph Attocknee gesammelten und unter dem Titel „The Life of Ten Bears“ veröffentlichten historischen Erzählungen aus der Oral History Tradition der Yamparika-Comanchen (herausgegeben vom Historiker Thomas W. Kavanagh), enthalten eine Episode über den Beginn der Allianz mit den Kiowa, die schließlich zu einer fortschreitenden Integration dieser in das System Comanchería bedeutete.
1825 wurde der Comanche Patuuya beim Abwickeln von Geschäften mit einem Europäer von diesem gebeten, einer friedlichen Verhandlung mit Abgesandten der eigentlich feindlichen Kiowa zuzustimmen, die sich ebenfalls bei ihm befanden. Diese baten ob der desolaten wirtschaftlichen Lage ihres Stammes um einen Friedensschluss mit den Comanchen. Dieser Idee, die Kiowa als potentielle Handelspartner und Verbündete zu erwägen, stand Patuuya aufgrund der geringen militärischen Schlagkraft und wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit der Kiowa eher skeptisch gegenüber, versprach allerdings das Anliegen vor den Entscheidungsträgern seines Volkes vorzutragen. Die Geschenke an Patuuya, um die Gesprächsgrundlage zu schaffen, stiftete dabei der europäische Händler. Bei den Kiowa handelte es sich im Gegensatz zu den Comanchen um einen kleinen Stamm von lediglich rund 1200 Mitgliedern. Mit Pferden bislang nicht in Berührung gekommen, waren die einzigen Nutztiere der Kiowa ihre Hunde, die sie sowohl als Lasttiere als auch Nahrungsquelle einsetzten. Partizipation am weitläufigen Handel und die Jagd nach Bisons verunmöglichte die Absenz von Pferden ebenso wie das militärische Bestehen gegen equestrisch geschulte Gegner.
Patuuya verschwieg das Zusammentreffen mit den Kiowa nach seiner Rückkehr. Monate verstrichen, ohne dass die Kiowa eine Antwort auf ihr Ansuchen erhielten. So ergriffen diese erneut die Initiative und ein Häuptling der Kiowa erschien im Lager der Comanchen, darauf erpicht in eine Allianz mit den Comanchen zu treten. Der Anführer der Comanchen verkündet seine Entscheidung, das Bündnis einzugehen mit den Worten:
„So wie ich euch hier sehe, seht ihr alle gleich aus, ihr alle seid meine Kinder. Kann mir jemand zeigen und sagen, welche jene anderen meiner Kinder sind, die uns besuchen? Zeigt sie mir, sodass ich berühren sie kann und ihre Hand in Freundschaft nehme.“
[Kavanagh 2016, S. 36]
Der Friedensschluss erfolgte per verbaler Direktaufnahme in den metaphorischen Familienbund. Nun galten die Kiowa auch als Handelspartner und wurden in ihrer Gesamtheit eingeladen. Doch als sie eintrafen, gaben die ihr Hab und Gut mühsam selbst schleppenden Kiowa einen so traurigen Anblick ab, dass die Comanchen gerührt wurden:
„Ein solcher Anblickt ließ den Comanchen keine andere Wahl, als mehr zu tun als nur Betroffenheit zu fühlen. Fast wie auf Signal begannen die Comanchen die Fuß-Kiowas mit Geschenken zu überhäufen, wobei die wichtigsten Geschenke natürlich die Pferde waren. Mit dieser Massenbeschenkung an Pferden wurden die Fuß-Kiowas einen weiten Entwicklungsschritt nach vorne gehievt, vom hundeabhängigen Stamm hin zum hochmobilen Reitervolk.“
[Kavanagh 2016, S. 37]
Ob sich die tatsächlichen Transfers der Kulturtechniken rund um den Pferde-Pastoralismus tatsächlich in dieser Form zugetragen haben, ist fraglich, allerdings drückt diese Erzählung ein Selbstverständnis der Comanchen als Erfinder dieser Lebensform aus, deren Aneignung einen gesellschaftsevolutionären Fortschritt darstellt. Sie sind damit gewissermaßen Väter der Kulturtransformation ihrer Verbündeten; stellen eine sozial-genealogische Verbindung her, passend zu der durch den Häuptling ausgedrückten Aufnahme der Kiowa in das metaphorische Verwandtschaftsnetzwerk. Auch den mit den Kiowa eng zusammenlebenden Kiowa Apachen wurde diese Ehre zuteil. Folglich treten in den folgenden Erzählungen die Kiowas und Kiowa Apachen häufig als treue Begleiter der Comanchen bei ihren Kriegszügen auf.
Wer als Verbündeter in Frage kam, offenbart die Quelle hingegen an anderer Stelle. Das initiale Zögern Patuuyas wird dadurch begründet, dass ein Frieden mit den Kiowas keinerlei Nutzen für die Comanchen hätte. Als Gegenbeispiele für vorteilhafte Allianzen werden die mit den Ackerbau betreibenden Pueblo- und Wichita-Stammesverbänden genannt. Die erbittertsten Feinde der Comanche stellen laut Erzählung hingegen die Sioux dar. Friedensschlüsse mit diesen, genau wie mit sämtlichen anderen feindlichen Nationen, waren laut Erzählung lediglich temporäre Waffenstillstände. Die Beziehungen zu den Kiowa waren zwar vorbelastet, aber weit von der Feindschaft zu anderen nördlichen Nachbarn wie beispielsweise (Lakota) Sioux, die als die größten Feinde genannt werden, Osages oder Cheyenne, entfernt.
Bei diesen handelte es sich um Nationen, die mit den Comanchen in direkter Konkurrenz um die Kontrolle über Ressourcen und Handelsverbindungen standen. Die Lakota gelten neben den Comanchen als die den Übergang zum nomadischen Reitervolk am besten funktionalisiert habenden Indianer der Prärien. Wie die Comanchen waren sie erfolgreich in der Ausdehnung ihrer territorialen Einflusszone, sodass es immer wieder zu Zusammenstößen kam, insbesondere über büffelreiche Jagdgründe. Auch in der titelgebenden Erzählung über das Leben des Ten Bears wird die Erzfeindschaft zu den Lakota Sioux thematisiert, sie ist gewissermaßen Ausgangspunkt dieser beinahe mythologisch anmutenden Heldenbiografie. Bei einem Angriff der Sioux auf eine Holz sammelnde Yamparika Gruppe, verwaist Ten Bears und wird als sterbender Säugling in der Wildnis zurückgelassen, während sein älterer Bruder verschleppt wird. Sein Rachefeldzug als junger Erwachsener begründet sein Ansehen und seinen Ruf.
Auch der die 1830er Jahre durchziehende Konflikt mit den Cheyenne entstand aus Streitigkeiten über Bisonjagdgründe. In den beiden diese Kriege behandelnden Erzählungen werden die Kämpfe als extrem verlustreich für beide Seiten beschrieben. Ein Angebot zum Frieden kommt von den Cheyenne erst, als diese sich eingestehen, die Comanchen nicht besiegen zu können. Auch die immer wieder aufflammenden, sich nie beilegen lassenden Kriege mit den Osages waren letztlich Konflikte über Jagdterritorien, die durch die konkurrierenden Handelsnetzwerke der Osages nur verstärkt wurden.
Die Pueblos und Wichitas, mit denen langwierige Allianzen bestanden, waren hingegen keine Konkurrenz um Ressourcen. Beide hatten aufgrund ihres Ackerbaus Waren anzubieten, die den Comanchen fehlten. Die Pueblos mit ihren Verbindungen zu den kolonialen Siedlergesellschaften fungierten darüber hinaus als wichtige Mittelsmänner für den Handel mit diesen. Die Wichita hingegen dienten als militärische Verbündete, deren Inklusion in die Comanchería einen Pufferzweck erfüllte. Die Kiowas mochten anders als diese in den Augen Patuuyas als Verbündete nur wenig zu bieten gehabt haben, waren jedoch erst recht keine Konkurrenz im steten Aushandlungsprozess der Ressourcenzugänge. Viel eher konnten die kleinen Stämme der Kiowa und Kiowa Apachen einfach in die Comanchería integriert werden, ohne dass diese zur Belastung in der Ressourcenökonomie wurden, und dadurch neue militärische Verbündete gewonnen werden.
Krieg und Gewalt zwischen den Comanchen und ihren indigenen Nachbarvölkern war also ein direktes Resultat ungeklärter Verteilungsfragen, der Konkurrenz um lebensnotwendige Ressourcen. Im Sinne dieser Gruppenrivalitäten wandten Lakota, Cheyenne, Osages, Apachen und andere mit den Comanchen verfeindete Völker durchaus dieselben Plünder- und Raubzugslogiken gegen die Comanchen an, die diese als Erfolgsmodell im Prärie-Kleinkrieg um Jagdgründe und Handelsnetzwerke perfektioniert hatten. Dass sich diese Gewalt in Folge auch verselbstständigen konnte und persönlich-emotionale Motive wie Rache die Eskalationsspirale weitertrieben steht außer Frage und könnte womöglich erklären, weshalb sich manche wüsten Beziehungen, wie die zu den Cheyenne, wieder normalisieren bzw. befrieden konnte, wohingegen andere Konflikte wie die mit Osages oder Apachen nicht beizulegen waren.
Wie ordnet sich nun der Vertragsschluss der Comanchen mit dem deutschen Siedlerkollektiv in dieses System der Comanchería ein?
Die Geschichte des Meusebach-Vertrags weist bestechende Parallelen zum Friedensschluss und der anschließenden Inkorporation der Kiowa in die Comanchería auf. Ähnlich wie diese war die Meusebach-Expedition als Bittstellende zu den Comanchen gekommen. Sie hatten ihre freundschaftlichen Absichten glaubwürdig bewiesen und in ihrem Vorhaben das Land zu beackern, stellten sie keine Rivalen um die Lebensgrundlage Bison dar. Zudem würden die Siedler:innen ihnen auch nicht die Kontrolle über Handelsrouten und ‑knotenpunkte streitig machen, sondern viel eher einen neue Möglichkeit zum kommerziellen Warentausch eröffnen.
Der Vertrag ist ein Freundschafts- und Kooperationsvertrag, der die gemeinsame Nutzung des Raumes in für beide Seiten profitable Bahnen lenkte. Der Vertrag machte die Siedler:innen zu einem Teil des Systems des kinetic empire, dessen Expansion und Machtfestigung durch die Herstellung und Aufrechterhaltung von Handelsbeziehungen zu europäischen Siedlergemeinschaften und die Inkorporation fremder indianischer Kollektive bestand.
Friede und Freundschaft. Das Bekenntnis dazu war der vierte und letzte Vertragspunkt im Meusebach-Comanchen-Vertrag, ratifiziert in Fredericksburg am 9. Mai 1847. Es folgen die Unterschriften Meusebachs, des Indian Comissioners Neighbors und weiterer Vertreter der Siedler und die Markierungen der beiden Mediatoren aus der Nation der Delawaren sowie sechs Häuptlinge bzw. political leaders der Comanchen.
Die vorigen drei Vertragspunkte halten der Reihenfolge nach fest:
(1.) Das sichere und freie Geleit der deutschen Siedler:innen innerhalb des Gebiets des Land Grants und im Gegenzug ebenso für die Comanchen im deutschen Siedlungsgebiet.
(2.) Schutz vor feindlich gesinnten indianischen Gruppierungen durch die Comanchen, wobei die Deutschen nach bester Möglichkeit dasselbe tun sollten, und die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern.
(3.) Das Privileg zur Vermessung des gesamtem im Grant enthaltenen Landes und darüber hinaus, sollte dies nach Gutachten der Vermessenden nötig sein, bis zu den Ausläufern des Colorados wofür den Comanchen Sachleistungen im Wert von 3000 Dollar versprochen wurden.
Das kinetic empire der Comanchen war also nicht nur ein durch die Mobilität seiner herrschenden Klasse geprägtes Empire, sondern vor allem eines der diese Mobilität begründeten Ressourcenverteilung.
Die Akquirierung von Lebensmitteln, Transporttieren, Waffen und sonstigen Produkten und Waren in der Prärie des nordamerikanischen Südwesten zur Lebenssicherung bestimmte das soziale Gefüge der Comanchen und deren Politik gegenüber Außenstehenden.
Ob man um dieselben Ressourcenreservoire und Handelsverbindungen konkurrierte oder nicht, machte den Unterschied zwischen Krieg und Frieden aus.
Die imperiale Praxis zur Ausdehnung des Einflussbereichs und Expansion der Comanchería war eine nahtlose Fortsetzung von sozialen Systemen, die sich aus einfachen Notwendigkeiten zur Sicherung des Überlebens des Familienverbandes heraus begründeten.
Tim K. Erkert
Zum Autor:
Tim K. Erkert, geb. 1998,
Studium Master Geschichte und
Bachelor Slawistik;
Interessensschwerpunkt Globalgeschichte der Frontier
Literatur:
Ferdinand Roemer, Texas. Mit besonderer Rücksicht auf deutsche Auswanderung und die physischen Verhältnisse des Landes nach eigener Beobachtung geschildert von Dr. Ferdinand Roemer (Bonn 1849).
Thomas W. Kavanagh (Hg.), The Life of Ten Bears: Comanche Historical Narratives collected by Francis Joseph Attockney (Lincoln 2016).
Pekka Hämäläinen, The Comanche Empire (New Haven 2008).