April 22

Kil­lers of the Flower Moon – kein Oscar für Lily Glad­stone

Mar­tin Scor­ses Film “Kil­lers of the Flower Moon” war in aller Mun­de und sorg­te für Schlag­zei­len in Hol­ly­wood – und in Indi­an Coun­try. Sie­ben Oscar-Nomi­nie­run­gen weck­ten Hoff­nun­gen, u.a. für die Haupt­dar­stel­le­rin und für den bes­ten Ori­gi­nal­song (Scott Geor­ge).

Lily Glad­stone (Black­feet), 2022; 
Lizenz: Lily Glad­stone CC BY-SA 4.0

Lily Glad­stone (Black­feet) galt als der neue Shoo­ting­star der Lein­wand und wur­de als Anwär­te­rin für den begehr­ten Oscar bei der Ver­lei­hung im März 2024 gehan­delt.

Anfang Janu­ar konn­te Glad­stone bereits einen Tri­umph fei­ern, denn als ers­te Indi­ge­ne wur­de sie mit einem Gol­den Glo­be als bes­te Haupt­dar­stel­le­rin für ihr Rol­le als Mol­lie aus­ge­zeich­net.

Glück­wunsch! 

Doch beim Oscar ging die Black­feet lei­der leer aus – auch wenn Oscar-Gewin­ne­rin Emma Stone die begehr­te Tro­phäe in ihrer Dan­kes­re­de mit allen Mit­be­wer­be­rin­nen teil­te. Lily Glad­stone hät­te ver­dient, als ers­te Indi­ge­ne mit einen Oscar aus­ge­zeich­net zu wer­den. Doch wir müs­sen wohl noch war­ten.


Der Gewin­ner des Abends war „Oppen­hei­mer“ mit 13 Oscars, was nicht wirk­lich nach­voll­zieh­bar ist, denn der läng­li­che Film über einen der Väter der Atom­bom­be blen­det einen wesent­li­chen Aspekt völ­lig aus – die Aus­wir­kun­gen des ato­ma­ren Wett­ren­nens auf die indi­ge­nen Völ­ker, auf deren Land das Uran für die Bom­be gewon­nen wur­de und auf deren Land die Tests durch­ge­führt wur­den.

Kil­lers of the Flo­re Moon — Film­pos­ter

Auch der nomi­nier­te „Kil­lers oft he Flower Moon“ mit Robert de Niro und Leo­nar­do DiCa­prio in den männ­li­chen Haupt­rol­len, hät­te bei einer Län­ge von drei­ein­halb Stun­den ger­ne eine Stun­de kür­zer sein kön­nen, wäh­rend das gleich­na­mi­ge Buch von David Grann mit sei­nen 377 Sei­ten im eng­li­schen Ori­gi­nal kei­ne ein­zi­ge Sei­te zu lang ist, denn der True Crime Thril­ler fes­selt bis zum letz­ten Absatz – nicht durch Action, son­dern durch sei­nen erstaun­li­chen Fak­ten­reich­tum, der auch noch mit­rei­ßend geschrie­ben ist. 

Vor allem aber hat das Buch einen ande­ren Schwer­punkt als der Film, denn hier steht Mol­lie – Opfer und Über­le­ben­de – im Zen­trum. Der Film dage­gen kreist um die männ­li­chen Super­stars, einem dämo­ni­schen Böse­wicht und sei­nem tum­ben Erfül­lungs­ge­hil­fen. Natür­lich ist Robert de Niro gewohnt bril­lant als dämo­ni­scher Strip­pen­zie­her, aber hier wur­de eine ech­te Chan­ce ver­ge­ben, Lily Glad­stone tat­säch­lich zum Star des Films zu machen, was umso bedau­er­li­cher ist, da es sich um eine rea­le Geschich­te han­delt, die über ein Jahr­hun­dert völ­lig ver­drängt und ver­ges­sen wur­de.

„Am 24. Mai 1921 begann sich Mol­lie Burk­hart, eine Ein­woh­ne­rin der im Osa­ge-Reser­vat gele­ge­nen Stadt Gray Hor­se, Sor­gen zu machen, dass einer ihrer Schwes­tern, Anna Brown, etwas pas­siert sein könn­te.“ Damit eröff­net Grann sei­ne Geschich­te.

Der Mai ist in den Über­lie­fe­run­gen der Osa­ge die Zeit des Blu­men mor­den­den Mon­des, wenn die zar­ten Früh­lings­blu­men von mäch­ti­ge­ren Pflan­zen zer­stört wer­den. Die Osa­ge waren die zar­ten Pflänz­chen, die hin­weg­ge­fegt wer­den soll­ten. 

Damit beginnt David Granns Buch, das sich in drei Abschnit­te teilt:

  • Die ers­te Chro­nik (Die gezeich­net Frau) erzählt Mol­lies Geschich­te mit dem his­to­ri­schen Hin­ter­grund und den Mor­den an den Osa­ge. 
  • Die zwei­te Chro­nik (Der Mann der Bewei­se) schil­dert die müh­sa­me Auf­klä­rung durch Tom White und
  • die letz­te Chro­nik (Der Repor­ter) erläu­tert die Beweg­grün­de und die Recher­chen des Autors, die aus der Ich-Per­spek­ti­ve erzählt wer­den.

David Grann: Kil­ler of the Flower Moon(Buchcover)

Das Buch ist bereits 2017 erschie­nen und war zwar für den Natio­nal Book Award nomi­niert, blieb jedoch weit­ge­hend von der brei­ten Öffent­lich­keit unbe­ach­tet. Zu unge­heu­er­lich sind die wah­ren Ereig­nis­se – eine Rei­he geziel­ter Mor­de an Osa­ge-India­ner aus purer Hab­gier gepaart mit Ras­sis­mus inmit­ten einer gleich­gül­ti­gen Gesell­schaft.

Ver­trei­bung und Ölreich­tum

Grann beginnt in sei­nem Buch mit der Vor­ge­schich­te der Mor­de (was im Film lei­der fehlt). Er ver­weist u.a. auf die Ver­trei­bung der Osa­ge, die Aus­rot­tung der Büf­fel, und den „Dawes Act“ (1887), wel­che wesent­lich zur Situa­ti­on der Osa­ge bei­tru­gen. 

1872 wur­den die Osa­ge von ihrer Hei­mat in Kan­sas ver­trie­ben und muss­ten sich im „Indi­an Ter­ri­to­ry“ nie­der­las­sen, dem spä­te­ren Bun­des­staat Okla­ho­ma. 1897 wur­de auf ihrem Gebiet Öl ent­deckt. Der „Osa­ge Allot­ment Act“ von 1906 wies jedem Osa­ge ein Gebiet von 266 ha zu, samt der Rech­te am Boden und den Boden­schät­zen. Danach hat­ten sie und ihre gesetz­li­chen Erben, ob Osa­ge oder nicht, auf der Grund­la­ge der ihnen zuge­teil­ten Län­de­rei­en ein Anrecht auf Lizenz­ge­büh­ren für die Ölför­de­rung.

Als die Gier nach Öl immer grö­ßer wur­de und die För­der­tür­me vor schwar­zem Gold spru­del­ten, wur­den die Osa­ge plötz­lich uner­mess­lich reich. Lügen­ge­schich­ten über den ver­schwen­de­ri­schen Lebens­stil der Osa­ge ver­brei­te­ten sich in Win­des­ei­le und schu­fen den Nähr­bo­den für Neid und Begehr­lich­kei­ten. 

Die Osa­ge waren nicht blöd, sie begrif­fen schnell, wel­che Gefahr der neue Reich­tum mit sich brin­gen wür­de. Bei einer Kon­gress­an­hö­rung erklär­te Osa­ge-Häupt­ling Bacon Rind, die Wei­ßen hät­ten ...

„... uns hier­her in die Ein­öde gedrängt, in den unwirt­lichs­ten Teil der Ver­ei­nig­ten Staa­ten, weil sie dach­ten, wir wer­den die­se India­ner dort­hin trei­ben, wo es nur einen Hau­fen Stei­ne gibt und sie in die­ser Erde ver­sau­ern las­sen. Nun, da sich der Hau­fen Stei­ne als mil­lio­nen­schwer erwie­sen hat, will plötz­lich jeder hier­her­kom­men und etwas von die­sem Geld haben.“

Rei­che India­ner waren nicht das Ziel der Ver­trei­bung und Unter­wer­fung gewe­sen – und der Kon­gress han­del­te. 1921 erließ er ein Gesetz, das die Aus­ga­ben bzw. die Hand­lungs­fä­hig­keit der Osa­ge ein­schränk­te
Sie muss­ten nun nach­wei­sen, dass sie in der Lage wären, ihre Geschäf­te selbst ver­ant­wor­tungs­voll zu hand­ha­ben. In der Pra­xis bedeu­te­te dies, dass die Osa­ge ent­mün­digt wur­den und ihnen von den Gerich­ten ein Vor­mund zur Sei­te gestellt wur­de, der den Indi­ge­nen ledig­lich auf Bit­ten ein Taschen­geld zur Ver­fü­gung stell­te. Als Vor­mund wur­den meist wei­ße Geschäfts­leu­te oder Anwäl­te beauf­tragt – der Kor­rup­ti­on waren kei­ne Gren­zen gesetzt.

Nach Ver­trei­bung, Unter­drü­ckung und Ent­mün­di­gung hat­ten die Osa­ge kei­ne Kraft mehr, sich die­ser Ent­wick­lung ent­ge­gen­zu­stel­len. Es herrsch­ten zunächst Erschöp­fung, dann Fata­lis­mus und schließ­lich pure Angst.

Osa­ge-Mor­de

Auch die Fami­li­en­ge­schich­te von Mol­lie wird im Buch von David Grann dar­ge­legt. Ihre Eltern, Liz­zie und Ne-kah-e-sey, hei­ra­te­ten 1874. Mol­lie (Wah-kon-tah-he-um-pah) selbst wur­de 1886 gebo­ren, sie hat­te drei Schwes­tern: Anna, Rita und Min­nie. 
Mit sie­ben Jah­ren muss­te sie in die katho­li­sche St. Lou­is School, andern­falls hät­ten die Eltern kein Geld mehr bekom­men. Wie vie­le ande­re Osa­ge hei­ra­te­te Mol­lie 1917 den wei­ßen Ernest Burk­hart, den Nef­fen des berüch­tig­ten „Königs der Osa­ge Hills“, den Vieh­ba­ron Wil­liam Hale. Ernest wur­de zu ihrem Vor­mund. Hale ent­wi­ckel­te einen teuf­li­schen Plan, um an das Geld von Mol­lies Fami­lie zu kom­men, und Ernest Burk­hart war der will­fäh­ri­ge Hel­fer (den übri­gens Leo­nar­do DiCa­prio auch so spielt).

Kurz nach der Hoch­zeit began­nen die Mor­de. 1918 starb ihre Schwes­ter Mim­mie an einer mys­te­riö­sen Schwind­sucht. Ihr Wit­wer, Bill Smith (eben­falls ein Wei­ßer), hei­ra­te­te dar­auf­hin sei­ne Schwä­ge­rin Rita, um an das Geld zu kom­men. Anna starb im Mai 1921 – angeb­lich hat­te sie zu viel getrun­ken und war erfro­ren. Spä­ter stell­te sich her­aus, dass sie erschos­sen wor­den war. Einen Monat spä­ter wur­de auch Mol­lies Mut­ter Liz­zie ver­gif­tet. 1922 wur­de Ritas Haus in die Luft gesprengt, wobei auch Bill Smith starb, was einen Mit­wis­ser im Kom­plott weni­ger bedeu­te­te. Mol­lie war nun die letz­te Über­le­ben­de und Allein­er­bin. Auch sie soll­te ver­gif­tet wer­den.

Neben den Mit­glie­dern von Mol­lies Fami­lie wur­den wei­te­re Osa­ge ermor­det und Mit­wis­ser aus dem Weg geräumt. Kein Deal war zu dre­ckig, wenn es ums Geld ging. So ließ Wil­liam Hale den Osa­ge Hen­ry Roan ermor­den, nach­dem er die­sen über­zeugt hat­te, ihn als Erben der Lebens­ver­si­che­rung in Höhe von 25.000 Dol­lar ein­zu­set­zen.

Der heu­ti­ge Prin­ci­pal Chief Geoffrey Stan­ding Bear geht davon aus, dass in den 1920er Jah­ren bis zu 150 Osa­ge Opfer der Mord- und Geld­gier wur­den.

Ver­ur­tei­lung von Hale und Burk­hart

1923 hat­ten sich die Osa­ge an Washing­ton gewandt und um Hil­fe gebe­ten. 1924 sprach eine Stu­die der Indi­an Rights Asso­cia­ti­on von einer „Orgie an Betrug und Aus­beu­tung“. 
Selbst die Regie­rung muss­te 1925 ein­räu­men, dass die Osa­ge durch das Vor­mund­schafts­sys­tem um rund acht Mil­lio­nen Dol­lar betro­gen wur­den – nach heu­ti­ger Rech­nung 140 Mil­lio­nen Dol­lar.

Und das Mor­den ging wei­ter. Bei den Osa­ge herrsch­te blan­ke Angst. Bis 1924 gab es min­des­tens 25 Todes­fäl­le, für deren Unter­su­chung die Osa­ge sogar selbst zah­len muss­ten.

Am 15. Janu­ar 1926 erließ die Socie­ty of Okla­ho­ma Indi­ans eine Reso­lu­ti­on

“Mit­glie­der des Stam­mes der Osa­ge wur­den ihrer Land­rech­te wegen hin­ter­häl­tig ermor­det. … Die Ver­ant­wort­li­chen ver­die­nen für die­se mut­maß­li­chen Ver­bre­chen, rück­sichts­los straf­ver­folgt und im Fal­le einer Ver­ur­tei­lung mit der vol­len Här­te des Geset­zes bestraft zu wer­den. …“

Man unter­stütz­te daher die Bemü­hun­gen der Straf­be­hör­den zur Auf­klä­rung der Fäl­le.

Schließ­lich wur­de das FBI mit der Unter­su­chung der Mor­de beauf­tragt – mit Erfolg. 1926 wur­den Hale und Burk­hart ver­haf­tet. Ernest Burk­hart wur­de zu lebens­läng­li­cher Haft ver­ur­teilt, nach­dem er ein Geständ­nis abge­legt hat­te, nach­dem sei­ne 4‑jährige Toch­ter „plötz­lich“ gestor­ben war. Durch Burk­harts Aus­sa­gen konn­te auch Hale ver­ur­teilt und der Mor­de schul­dig gespro­chen wer­den.

Erst 1932 wur­de Mol­lies Vor­mund­schaft auf­ge­ho­ben, sie starb 1937. Hale wur­de nach 20 Jah­ren Haft in Lea­ven­worth ent­las­sen, und Burk­hart kam 1966 aus dem Gefäng­nis, nach­dem ihn der Gou­ver­neur begna­digt (!) hat­te. Er kehr­te nach Okla­ho­ma zurück und starb 1986. 

Die genaue Zahl der Ermor­de­ten wird sich nie mehr ermit­teln las­sen. Die Osa­ge-Mor­de wur­den schnell aus dem ame­ri­ka­ni­schen Gedächt­nis ver­drängt. Selbst im Film „FBI-Sto­ry“ (1959) mit James Ste­wart kamen sie nicht ein­mal vor. 

Als die Ölquel­len ver­sieg­ten und auch die Welt­wirt­schafts­kri­se ihr Ver­mö­gen ver­schlang, gehört die Sto­ry von den rei­chen Osa­ge der Ver­gan­gen­heit an. Für ver­un­treu­te Gel­der erhiel­ten die Osa­ge 2012 eine Ent­schä­di­gungs­sum­mer von 380 Mil­lio­nen Dol­lar, doch das Trau­ma der Osa­ge-Mor­de blieb.

Koope­ra­ti­on mit den Osa­ge

Als der Film im Sep­tem­ber 2023 Pre­mie­re fei­er­te, muss­te das Groß­ereig­nis auf die zwei Top-Stars ver­zich­ten. Wegen des Streiks der Hol­ly­wood-Schau­spie­ler­ge­werk­schaft konn­ten weder Robert De Niro noch Leo­nar­do DiCa­prio über den roten Tep­pich schlen­dern.

Dafür waren Ver­tre­ter der Osa­ge-Nati­on gekom­men, um den Film zu fei­ern, der das Unrecht an ihrem Volk anpran­gert. Osa­ge Prin­ci­pal Chief Geoffrey Stan­ding Bear lob­te nicht nur den Film selbst, son­dern vor allem die Zusam­men­ar­beit wäh­rend der Pro­duk­ti­on. „Wir sind über­all in die­sem Film“, begeis­ter­te sich Stan­ding Bear, denn es sei nicht ein­fach ein Film über India­ner, son­dern „Kil­lers of the Flower Moon“ habe neue Stan­dards für die Koope­ra­ti­on mit Indi­ge­nen in der Film­bran­che geschaf­fen.

Web­sei­te der Osa­ge Nati­on, Okla­ho­ma, USA, www.osageculture.com

Als die Osa­ge 2019 von den Film­plä­nen erfuh­ren, hat­ten sie sich Scor­se­se gewandt, um alt­her­ge­brach­te ste­reo­ty­pe Dar­stel­lun­gen von Indi­ge­nen zu ver­mei­den. Tat­säch­lich tra­fen sich der Regis­seur und sein Team mit den Osa­ge, um eine Zusam­men­ar­beit zu bespre­chen, die dazu führ­te, dass Osa­ge an der Ent­wick­lung des Films betei­ligt waren. Die Dreh­ar­bei­ten fan­den auf dem Land der Osa­ge statt und vie­le Rol­len wur­den mit Indi­ge­nen besetzt.

Tat­säch­lich ver­mei­det der Film die Kli­schees frü­he­rer Hol­ly­wood­dar­stel­lun­gen – auch wenn die­se schon län­ger ins Wan­ken gera­ten sind. Einen Antho­ny Quinn oder „Cap­tain Kirk“ mit Stirn­band und Perü­cke könn­te kein Film dem heu­ti­gen Publi­kum als India­ner mehr anbie­ten. Die Zei­ten sind längst vor­bei, was jedoch nicht heißt, dass Fil­me über Indi­ge­ne auch deren Per­spek­ti­ve reflek­tie­ren. Bis zu einem wirk­lich indi­ge­nen Block­bus­ter ist es ein wei­ter Weg. 

Chris­to­pher Cote, der als Sprach- und Kul­tur­be­ra­ter bei den Dreh­ar­bei­ten mit­wirk­te, erklär­te, ihm wäre es natür­lich lie­ber gewe­sen, der Film hät­te die Geschich­te aus Mol­lies Per­spek­ti­ve erzählt, aber rea­lis­tisch betrach­tet, sei man eben noch nicht so weit, dass man einem Osa­ge-Fil­me­ma­cher ein­fach mal 200 Mil­li­on Dol­lar Pro­duk­ti­ons­geld in die Hand drü­cken wür­de. Aber den­noch sei ein wei­te­rer wich­ti­ger Schritt erreicht, und natür­lich ist die Aus­zeich­nung und Aner­ken­nung für Lila Glad­stone dabei äußerst hilf­reich.

Die ras­sis­ti­schen Dar­stel­lun­gen in den Wes­tern der1940er und 1950er Jah­re waren ein Spie­gel­bild der ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft, die Indi­ge­ne damals tat­säch­lich weit­ge­hend als Ver­lie­rer der „Mani­fest Desti­ny“ und min­der­wer­ti­ge Relik­te der Ver­gan­gen­heit (wenn nicht gar noch als Fein­de) betrach­te­te. Doch die ame­ri­ka­ni­sche (und kana­di­sche) Gesell­schaft hat sich wei­ter­ent­wi­ckelt. Bei allem Ras­sis­mus, der immer noch vor­han­den ist, muss­te die Mehr­heits­ge­sell­schaft erken­nen, dass die Indi­ge­nen immer noch da sind. Sie haben Völ­ker­mord, Ver­trei­bung und Zwangs­as­si­mi­lie­rung über­lebt und wer­den bestehen.

Indi­ge­ne auf der Lein­wand und im Stream

Ihr neu­es Selbst­be­wusst­sein hat in den letz­ten Jah­ren auch zahl­rei­che Fil­me her­vor­ge­bracht – von Indi­ge­nen und mit Indi­ge­nen. Nicht nur Glad­stone steht im Ram­pen­licht. Die Mel­dun­gen zu Indi­ge­nen in der Film­bran­che über­schla­gen sich gera­de­zu. Die­ses Jahr soll eine Film­ver­si­on des „Star Wars“-Klassikers (1977) in der Spra­che der Ojib­we ver­öf­fent­licht wer­den – bereits 2014 gab es eine Ver­si­on in der Dineh-Fas­sung. 

Die Mar­vel Stu­di­os – bekannt für ihre Super­hel­den-Block­bus­ters – prä­sen­tie­ren die Action-Serie „Echo“ auf den Strea­ming-Diens­ten Hulu und Dis­ney. Im Zen­trum steht die Figur der Maya, eine Choc­taw, die taub ist und eine Bein­pro­the­se trägt – so wie die Schau­spie­le­rin Ala­qua Cox selbst. Eine behin­der­te Indi­ge­ne als „Super Hero“ ist tat­säch­lich Neu­land, das die Direk­to­rin Syd­ney Free­land („Drunktown’s Finest“) beschrei­tet. Mit von der Par­tie sind u.a. Tan­too Car­di­nal, Gra­ham Gree­ne und Zahn McC­lar­non. Auch mit Vin­cent D’Onofrio stand Cox (Meno­mi­nee) schon vor der Kame­ra in der Mar­vel-Pro­duk­ti­on „Haw­keye“.

Der erfolg­rei­che Mao­ri-Regis­seur Taika Wai­ti („Jojo Rab­bit“) pro­du­zier­te für Net­flix zudem die Coming-of-Age-Geschich­te „Fry­bread Face and Me“, in der ein Dineh das ver­trau­te San Die­go ver­las­sen muss, um den Som­mer bei der Ver­wandt­schaft auf der Reser­va­ti­on zu ver­brin­gen. Regis­seur Bil­ly Luther (Navajo/Hopi/Laguna Pue­blo) leg­te dabei beson­de­ren Wert auf eine indi­ge­ne Beset­zung, u.a. Keir Tall­man, Mor­ning­Star Ange­li­ne und Jere­mi­ah Bit­sui.

Mit der Super­hel­din Kaho­ri prä­sent Mar­vel zudem eine Mohawk-Prot­ago­nis­tin in der Ani­ma­ti­ons­se­rie „What if?“. Die Figur der Kaho­ri wur­de in Zusam­men­ar­beit mit den Hau­de­no­sau­nee erar­bei­tet und stößt auf brei­te Begeis­te­rung bei den Indi­ge­nen.

Nicht zu ver­ges­sen: „Reser­va­ti­on Dogs“, die gefei­er­te und mehr­fach aus­ge­zeich­ne­te Serie über vier Jugend­li­che in einem fik­ti­ven Reser­vat (gedreht auf dem Reser­vat der Mus­co­gee Nati­on), deren 3. Fol­ge 2023 abge­schlos­sen wur­de, war ein ech­ter Durch­bruch, der weit über „Indi­an Coun­try“ Erfol­ge fei­er­te.

Die Indi­ge­nen schei­nen – nach all dem „Red Facing“ – in den Start­lö­chern zu ste­hen, um die Film­bran­che zu erobern, auch wenn die meis­ten Pro­duk­tio­nen auf Strea­ming­diens­te beschränkt blei­ben. Inso­fern war wohl die Groß­pro­duk­ti­on von „Kil­lers of the Flower Moon“ mit der Beset­zung der Haupt­rol­len durch Leo­nar­do DiCa­prio und Robert de Niro noch immer ein Zuge­ständ­nis an den Main­stream. Aber die Zei­ten ändern sich auch in Hol­ly­wood.

Indi­ge­ne Reak­tio­nen

Nicht alle Indi­ge­nen reagier­ten so eupho­risch wie die Osa­ge. Man­che erin­ner­ten dar­an, dass auch Block­bus­ter wie „Black Pan­ther“ den täg­li­chen Ras­sis­mus gegen Schwar­ze nicht besei­tig­ten und noch immer „Black Lives Mat­ter“ auf den Stra­ßen Ame­ri­kas gefor­dert wer­den muss.

Man­che Indi­ge­ne äußer­ten das Pro­blem einer Re-Trau­ma­ti­sie­rung, auch wenn es wich­tig sei, die grau­sa­men Mor­de und die Geschich­te an die brei­te Öffent­lich­keit zu brin­gen.

Eliza­beth Rule (Chick­a­saw), Pro­fes­so­rin an der Ame­ri­can Uni­ver­si­ty in Washing­ton und Autorin des Buches „Indi­ge­nous DC“, kri­ti­siert vor allem, dass im Gegen­satz zum Buch die Rol­le Mol­lies an Kom­ple­xi­tät ein­ge­büßt hat und stär­ker in den Hin­ter­grund tritt:

„Der Film gibt uns einen Ein­blick in die Erfah­run­gen einer Fami­lie, aber die Geschich­te der Gewalt ist eine gemein­sa­me Geschich­te von Hun­der­ten von Stäm­men in den USA, und sie begann oder ende­te auch nicht in den 1920er Jah­ren. Die­se Gewalt begann bereits mit der Kolo­ni­sie­rung die­ses Lan­des und dau­ert bis heu­te an.“

Robert War­ri­or (Osa­ge), Pro­fes­sor für ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur und Kul­tur an der Uni­ver­si­tät von Kan­sas, ver­tritt die Auf­fas­sung, dass „Kil­lers of the Flower Moon“ zu wenig dar­auf ein­ge­he, wie die Poli­tik der Bun­des­re­gie­rung die Ent­eig­nung der Urein­woh­ner vor­an­trieb, indem sie die Osa­ge bei­spiels­wei­se dazu zwang, ihr Reser­vat in ein­zel­ne „Allot­ments“ auf­zu­tei­len. Dabei war der dem Sys­tem zugrun­de lie­gen­de Dawes Act (1887) spe­zi­ell dar­auf aus­ge­rich­tet, die gemein­sa­me Land­ba­sis der Indi­ge­nen zu zer­schla­gen und sie so in ihrer wirt­schaft­li­chen Auto­no­mie, aber auch hin­sicht­lich ihrer Tra­di­tio­nen und Kul­tur zu ent­mach­ten.

Auch Den­nis McAu­lif­fe (Osa­ge), Autor des Buches „The Death of Sybil Bol­ton: Oil, Greed and Mur­der on the Osa­ge Reser­va­ti­on“, das bereits 1994 erschien, kri­ti­siert, dass der Film zu wenig auf die geschicht­li­chen und poli­ti­schen Hin­ter­grün­de ein­geht, die zu dem Sys­tem von Vor­mund­schaft und Ent­mün­di­gung der Indi­ge­nen führ­ten.

Dar­auf ver­wei­sen ins­be­son­de­re die Nach­fah­ren der Opfer – für Jay Kil­bie Reed ist der Film Teil sei­ner per­sön­li­chen Fami­li­en­ge­schich­te. Sein Urgroß­on­kel wur­de erst mit 44 Jah­ren für „mün­dig“ erklärt, um selbst über sein Leben zu ent­schei­den. Die meis­ten Ame­ri­ka­ner hät­ten von die­ser Geschich­te kei­ne Ahnung, denn natür­lich wird sowas nicht in Schul­bü­chern gelehrt.

Geschichts­lek­ti­on in Granns Buch

Auch die Autorin die­ser Zei­len ver­misst im Film vor allem den his­to­ri­schen Kon­text. Das Buch von David Grann unter­nimmt genau die­sen Ver­such, die Mor­de an den Osa­ge nicht nur in einen his­to­ri­schen Kon­text zu stel­len, son­dern zugleich ein Zeit­por­trät der ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft zu skiz­zie­ren. 

Vor allem im zwei­ten Teil des Buches fühlt sich die Lese­rin zurück­ver­setzt in einen Wes­tern der 1940er Jah­re. Das Land – also der tat­säch­lich „Wide Wes­ten“ – wird von weni­gen Vieh­ba­ro­nen oder Groß­grund­be­sit­zern beherrscht. „Zivi­li­sa­ti­on“ ist selbst mit der Eisen­bahn noch nicht abge­kom­men. Die „Unzi­vi­li­sier­ten“ sind jedoch nicht die Indi­ge­nen, son­dern die Aben­teu­er, Sied­ler und sons­ti­gen Ame­ri­ka­ner, die immer noch an das Faust­recht und das Recht des Stär­ke­ren glau­ben. Der Glau­be an Geset­ze oder das Ver­trau­en in ein ver­läss­li­ches Sys­tem von Ver­wal­tung, Jus­tiz oder Poli­zei hat sich noch nicht ent­wi­ckelt. Gier und Kor­rup­ti­on sind an der Tages­ord­nung – und das auch noch zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts.

„Der Mann der Bewei­se“, wie der zwei­te Teil über­schrie­ben ist, will dies ändern. Grann beschreibt die chao­ti­schen Zustän­de, die damals bei Poli­zei und Jus­tiz in Okla­ho­ma herrsch­ten. Kri­mi­nal­sta­tis­ti­ken waren noch unbe­kannt und die kri­mi­na­lis­ti­schen Metho­den steck­ten in den Kin­der­schu­hen. Zwie­lich­te Pri­vat­de­tek­ti­ve über­nah­men die Arbeit der unfä­hi­gen oder unwil­li­gen She­riffs. Auch waren Poli­zei und Rechts­in­sti­tu­tio­nen von Kor­rup­ti­on durch­setzt.

Tom White war der Mann der Stun­de, der die­ses Sys­tem ändern woll­te. Der ehe­ma­li­ge Texas Ran­ger begann sei­ne Arbeit beim Bureau of Inves­ti­ga­ti­on 1925, das 1935 in FBI umbe­nannt wur­de. Unter der 40-jäh­ri­gen Lei­tung von J. Edgar Hoo­ver wur­de das Fede­ral Bureau of Inves­ti­ga­ti­on zu einem mäch­ti­gen Appa­rat. Im Bio­pic „J. Edgar“ (2011) spiel­te übri­gens Leo­nar­do DiCa­prio den FBI-Chef. In sei­nen Auf­zeich­nun­gen zeig­te White, der sei­ne Geschich­te 1928 in Zusam­men­ar­beit mit dem Autor Fred Gro­ve nie­der­schrieb, aller­dings ein sehr kri­ti­sches Bild von Hoo­ver, der bald für sei­nen para­no­iden Über­wa­chungs­wahn bekannt wur­de. Zudem kri­ti­sier­te White den Corps­geist des FBI und beklag­te, dass in den anfäng­li­chen Unter­su­chun­gen zu den Mor­den an den Osa­ge Zeu­gen­aus­sa­gen und Beweis­mit­tel ver­schwan­den.

Ver­dräng­te Mor­de heu­te: Miss­ing and Mur­de­red Indi­ge­nous Woman (MMIW)

Bei der brei­ten Bericht­erstat­tung zu „Kil­lers oft he Flower Moon“ muss ver­wun­dern, dass kei­ner der Kri­ti­ker oder der Rezen­sen­tin­nen auf ein drän­gen­des Pro­blem der Gegen­wart ver­wie­sen hat: die Tau­sen­den an ermor­de­ten und ver­schwun­de­nen indi­ge­nen Frau­en.

Mol­lies Schwes­ter Anna wird tot in einem Gra­ben gefun­den – zunächst wer­den „natür­li­che“ Ursa­chen ver­mu­tet, erst eine spä­te­re Unter­su­chung ergibt, dass sie ermor­det wur­de. Dies erin­nert sofort an all die Fäl­le, die noch heu­te so schnell von RCMP in Kana­da oder FBI in den USA als „unsu­s­pi­cious“, also unver­däch­tig abge­legt wer­den. In man­chen Fäl­len wur­de selbst bei Lei­chen, denen Glied­ma­ßen fehl­ten, ein Fremd­ver­schul­den aus­ge­schlos­sen!

Zur Zeit ver­su­chen Indi­ge­ne in Win­ni­peg die Poli­zei dazu zu bewe­gen, einen Gra­ben am Stadt­rand zu unter­su­chen, wo meh­re­re Frau­en­lei­chen ver­mu­tet wer­den. Das all­ge­mei­ne Des­in­ter­es­se, das den Mor­den an den Frau­en der Osa­ge in den 1920ern ent­ge­gen­ge­bracht wur­de, hat auch heu­te sei­ne Ent­spre­chung, wenn indi­ge­ne Mäd­chen oder Frau­en ver­misst wer­den. Auch hier gibt es immer wie­der Schlam­pe­rei­en, wer­den Zeu­gen­aus­sa­gen nicht doku­men­tiert oder ver­schwin­den Bewei­se.

Die Mord­se­rie an den Osa­ge liegt jetzt ein Jahr­hun­dert zurück, und doch fiel wohl kei­nem der Kom­men­ta­to­ren die Par­al­le­le mit der heu­ti­gen Situa­ti­on auf, dass es vor allem Frau­en waren, die damals ermor­det wur­den
Wäh­rend Granns Buch mit Mol­lie beginnt, wird die­ser Aspekt im Film kaum the­ma­ti­siert – die Ver­letz­lich­keit der indi­ge­nen Frau­en. Sie wur­den wei­ßen Vor­mun­den aus­ge­lie­fert, oft wegen ihres Gel­des gehei­ra­tet und wegen ihres Gel­des ermor­det. Und das Gan­ze hat Sys­tem. Grann beschreibt das Cha­os und die Unzu­läng­lich­kei­ten im dama­li­gen Poli­zei- und Jus­tiz­sys­tem, doch es gibt sie auch heu­te noch, wenn es um die Auf­klä­rung von Mor­den an indi­ge­nen Frau­en geht. 

Obwohl das The­ma erst­mals 2004 in Kana­da an die brei­te­re Öffent­lich­keit gelang­te, rei­chen die Fäl­le Jahr­zehn­te zurück und das Mor­den geht wei­ter – auch in den USA
Dabei wird um Kom­pe­ten­zen zwi­schen Tri­be, Bun­des­staat und Bun­des­ebe­ne gefeilscht und wer­den wert­vol­le Zeit und Res­sour­cen ver­schwen­det. 
Erst 2020 wur­de u.a. der „Not Invi­si­ble Act“ ver­ab­schie­det, der die Koope­ra­ti­on zwi­schen den ver­schie­de­nen Behör­den ver­bes­sern soll. Doch weder die USA noch Kana­da sind bis­lang in der Lage oder wil­lens, ihre Sta­tis­ti­ken auf aktu­el­len Stand zu brin­gen noch ent­spre­chen­de Maß­nah­men zu ergrei­fen.

Viel­leicht hät­te man dem Abspann von „Kil­lers oft he Flower Moon“ einen pas­sen­den Hin­weis auf die­se Mor­de anfü­gen sol­len.

Moni­ka Seil­ler, Akti­ons­grup­pe India­ner & Men­schen­rech­te, Mün­chen


Die­ser Arti­kel erschien zuerst im Maga­zin Coyo­te, her­aus­ge­ge­ben von der Akti­ons­grup­pe India­ner & Men­schen­rech­te.



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