Eine prestigeträchtige Eröffnung voller Solidaritätsbekundungen im Schatten erheblicher Widersprüche
Die weltweit größte Zusammenkunft Indigener Völker – die Sitzung des United Nations Permanent Forum on Indigenous Issues (UNPFII) - tagte zum 22. Mal (17. — 28. April) im Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York.
“Indigenous Peoples, human health, planetary and territorial health and climate change: a rights-based approach”.
Neben den zahlreichen indigenen RepräsentantInnen, beteiligten sich VertreterInnen der UN Mitgliedsstaaten, UN Agencies, diverser internationaler Organisationen, der Wirtschaft und vieler NGOs.
Das Mandat des UNPFII ist vielfältig, nähere Informationen hierzu und zum UNPFII generell:
deutsch ➪ https://www.incomindios.ch/de/themen/indigene-rechte-uno/un-institutionen
englisch ➪ https://social.desa.un.org/issues/indigenous-peoples/unpfii
Prominenz und das „Who is Who“ der Vereinten Nationen zeigen Präsenz und Solidarität
Traditionsgemäß eröffnete Tadodaho Sid Hill (Onondaga), spiritueller Führer der Haudenosaunee (Irokesen) mit einem Gebet, um das Treffen und die Anwesenden auf eine harmonische Tagung einzustimmen.
Als außergewöhnlich stellte sich die darauffolgende Prominenz der Eröffnenden dar: Das „Who is Who“ der Vereinten Nationen, UN-Generalsekretär Antonio Guterrez, der Präsident der UN Generalversammlung Csabar Körösi, die Präsidentin des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) Lachezara Stoeva und sogar der kolumbianische Präsident Gustavo Petro Urrego wie auch US-Innenministerin Deb Haaland gaben den Anwesenden die Ehre.
Zuerst ergriff der erneut zum Vorsitz des Forums gewählte kolumbianische Indigene Darío José Mejía Montalvo (Zenu) das Wort: Er bekräftigte die Bedeutung des Forums als Treffen größter politischer und kultureller Diversität und verglich es mit einer Maloca, dem Gemeinschaftshaus und vereinenden Ort vieler Indigener Völker Amazoniens unter einem Dach, in diesem Falle unter dem Dach der Vereinten Nationen. Zum zentralen Thema “Indigenous Peoples, human health, planetary and territorial health and climate change: a rights-based approach” stellte er die Frage nach der Mission Indigener Völker und beantwortete dies mit der Obhut und Pflege indigener Territorien jenseits eines anthropozentrischen, auf den Menschen zentrierten Ansatzes. Hierzu sei jedoch die wahrhaftige und effektive politische Partizipation Indigener Völker am internationalen Geschehen und der Respekt ihrer kollektiven Rechte essentiell, andernfalls wäre der aktuelle Hype um Umwelt und Biodiversität im Zusammenhang mit Indigenen Völkern lediglich eine grün gefärbte Variante des Kolonialismus.
Nach Montalvo erhob UN-Generalsekretär Antonio Guterrez höchstpersönlich seine Stimme und demonstrierte Solidarität: „The UN stands with you!“.
Er betonte die Diversität Indigener Völker bei gleichzeitiger Similarität ihrer Probleme: Marginalisierung, Exklusion, Land‑, Territorien- und Ressourcen-Enteignung, wie auch überproportionale Kriminalisierung. Guterrez hob insbesondere die massiven Konsequenzen des Klimawandels bezüglich Indigener Völker und ihrer Territorien hervor: Obwohl nicht von ihnen mitverursacht, würden sie darunter am gravierendsten zu leiden haben und sich an den Frontlinien befinden. Hierzu berichtete er von seinen persönlichen Eindrücken und Erfahrungen bei dem indigenen Volk der Kalina in Suriname.
Der UN-Generalsekretär unterstrich die Rolle Indigener Völker als Hüter der globalen Biodiversität, von denen „wir“ — die übrigen Gesellschaften — soviel zu lernen hätten. Guterrez betonte hierbei die seit 2007 – das Jahr der Annahme der UN-Deklaration für die Rechte Indigener Völker – verstärkte Inklusion Indigener Völker innerhalb der Vereinten Nationen und verwies auf die Notwendigkeit partnerschaftlicher „Hand in Hand“ Prozesse für globalen Frieden, Wohlstand und Nachhaltigkeit für alle.
Der darauffolgende Sprecher, der Präsident der UN-Generalversammlung Csabar Körösi, bekräftigte Guterrez Worte von „Euch“ — den Indigenen Völkern — „Eurer Weisheit“zu lernen, insbesondere hinsichtlich der Erfüllung der „Sustainable Development Goals (SDGs)“ bis 2030.
Hierbei betonte er die Relevanz holistischer Lebensweisen basierend auf Land, Ressourcen, tradiertem indigenen Wissen und spirituellen wie auch physischen Wohlbefindens, welche die indigenen Identitäten formen würden. Die Gesundheit des Planeten sei demnach essentiell mit der Gesundheit der Menschen verwoben. Auch Körösi würdigte Indigene Völker als Hüter von etwa 80% der weltweiten Biodiversität und verwies auf deren — oftmals verkannten — Errungenschaften, beispielsweise als Basis moderner Medikamente. Nur mit vereinten Kräften, gegenseitiger Verantwortung und der Weisheit und Führung Indigener Völker könne man den Wendepunkt zur Rettung des Planeten und der Menschheit erreichen.
Hierbei hob Körösi das Prinzip des „free, prior, and informed consent (FPIC)“ als unerlässlich hervor.
Neben weiteren, obig erwähnten hochrangigen Persönlichkeiten der UN, war insbesondere die Rede des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro Urrego eindrucksvoll: Er bezog sich auf Roberto Covalija, einen kolumbianischen indigenen Häuptling des Udua Stammes, den er Jahrzehnte zuvor kennengelernt hatte. Covalija kämpfte bereits damals gegen die Öl-Extraktionsindustrie und bezeichnete dies als den „Raub des Blutes der Erde“, welcher gravierende Konsequenzen für die Menschheit mit sich bringen würde. Petro verwies auf diese zentrale Erkenntnis Covalijas als Bestätigung dafür, dass Indigene Völker aufgrund ihres traditionellen Wissens und ihrer Kosmologie bereits lange vor den westlichen Wissenschaften auf die Zerstörung der Erde durch den Menschen aufmerksam machten.
Er betonte die Relevanz Indigener Völker als beste und erfahrenste Hüter des Amazonas, bekräftigte Kolumbiens Commitment für selbige und verwies auf eine bevorstehende Konferenz der Amazonasstaaten für die Revitalisierung des Amazonas als Klimaschutzmaßnahme, welche Indigene Völker stark einbinden würde.
Petro bezeichnete die Klimakrise als Krise der Zivilisation und verortete ihre Ursachen im Raubbau der Natur, insbesondere in der Extraktionsindustrie, und der ungleichmäßigen wie auch unbegrenzten Anhäufung des Wohlstandes, welche vom Großkapital und den neoliberalen Märkten angeheizt würde. Seiner Ansicht nach müsse man die Klimakrise holistisch betrachten, globale Friedensbemühungen wären diesbezüglich ebenso unerlässlich wie wahrhaftige, praktikable Lösungen, unabhängig von der Wachstumsideologie kapitalistischer Märkte. Die Zeit sei knapp und nur gemeinsam könne man die Krise bewältigen.
Zu guter Letzt sei noch die erste indigene Innenministerin der USA Deb Haaland (Laguna Pueblo) erwähnt, die nach einer eher belanglosen Werbe-Rhetorik für die Biden-Regierung jedoch auch auf den scheinbar fundamentalen Widerruf der Doctrine of Discovery durch Papst Franziskus und somit auf die theoretische Abkehr von der rechtlichen und moralischen Grundlage für die Eroberung und des Genozids an den Indigenen Völkern der Amerikas, verwies. Auch wenn die Worte des Papstes lang ersehnt worden waren, klare Taten müssen diesem Bekenntnis erst folgen.
Bemerkenswerte Widersprüchlichkeiten – echte Solidarität oder nur Lippenbekenntnisse?
Neben der außergewöhnlichen Präsenz der genannten Persönlichkeiten und ihrer durchaus ermutigenden und größtenteils bemerkenswerten Solidaritätsbekundungen, wurde jedoch bereits vor der Eröffnung bekannt, dass lediglich insgesamt 270 Sprechminutenfür die diesmal äußerst zahlreich erschienenen Indigenen während der 10 Tage dauernden Sitzung zur Verfügung stehen würden – magere 3 Minuten pro RepräsentantIn pro Thema!. Falls mehrere RepräsentantInnen derselben Organisation zu einem Thema Stellung nehmen wollten, würde das zeitlich begründet untersagt werden.
Unverständlich allerdings ist der Umstand, dass das altbewährte Caucus-System – im Vorfeld des UNPFII hatten sich vormals indigene RepräsentantInnen zu Regionalgruppen formiert, um ihren Stimmen konsensbasiert, kollektiv mehr Nachdruck zu verleihen und zeiteffizient zu bündeln – vom Sekretariat des UNPFII torpediert und letztlich unterminiert wurde: bei einem regionalen Caucus-Statement verloren alle unterzeichnenden indigenen RepräsentantInnen automatisch ebenso ihre individuelle Sprechzeit!
Zudem würde ein Caucus-Statement nicht als solches höher bewertet und automatisch bezüglich der finalen UNPFII Empfehlungen bevorzugt werden. Dies betraf selbst den kurz vor der Eröffnung der UNPFII Sitzung tagenden Global Indigenous Peoples Caucus, ein konsensbasiertes, absolut egalitäres Vorbereitungs-Gremium der anwesenden indigenen Entitäten, welches seit Beginn der indigenen Präsenz innerhalb der UNO effiziente und höchst relevante Arbeit leistete, jedoch häufig als unbequem auffiel. Die American Indian Law Alliance (AILA), Co-Organisator des Global Indigenous Peoples Caucus, erklärte sich daher bereit, ihre eigene Redezeit im Namen der Caucus-Statements zu Verfügung zu stellen und folglich auf eigene individuelle Statements vollends zu verzichten. Eine selbstlose Maßnahme, welche jedoch keinesfalls nötig sein sollte.
Ebenso stellte sich die Akkreditierung und somit die Teilnahme an der diesjährigen UNPFII Tagung als besonders problematisch für viele indigene RepräsentantInnen dar. Neben der stets mühsamen Visa-Problematik bezüglich der Einreise in die USA, gab es selbst für bereits langjährig partizipierende Indigene aus Ländern mit geringen Visa-Verpflichtungen, erhebliche Akkreditierungs-Schwierigkeiten bei den dafür verantwortlichen UN-Einrichtungen. Zwei Vertreterinnen des UNPFII Sekretariats entschuldigten sich hierfür und rechtfertigten dies mit der ungewöhnlich hohen Anzahl an Akkreditierungen im Vorfeld der Tagung, wie auch mit dem Umstand der Unterfinanzierung des Sekretariats und folglich fehlender Kräfte. Zugegebenermaßen traf das erste Argument bezüglich der zahlreichen Partizipation beim diesjährigen UNPFII tatsächlich zu, augenfällig blieb trotzdem, dass scheinbar speziell jene Entitäten Indigener Völker bei der Akkreditierung mit erheblichen Problemen konfrontiert waren, die sich in der Vergangenheit als besonders kritische Stimmen erwiesen hatten.
Fraglich bleibt jedenfalls, weswegen altbewährte, traditionell indigene Prozesse, welche sich im Jahrzehnte andauernden Caucus-System dynamisch entwickelt und artikuliert hatten, absichtlich vom Sekretariat unterbunden wurden, scheinbar keine ausreichende Finanzierung für die wesentliche Administration zwecks effektiverer Partizipation Indigener Völker innerhalb der UN zur Verfügung gestellt wird und rigorosere zeitliche Limits für Statements Indigener Völker zusätzlichen Druck erzeugen.
Sind diese Konditionen wie auch im Hintergrund ablaufende Transformationen mit jenen wunderbaren, zeitintensiven Lippenbekenntnissen der höchsten UN-Riege und anderer Prominente vereinbar? Bedauerlicherweise sind an ihrer realen Substanz berechtigte Zweifel durchaus angebracht. Dies gilt es in weiteren Beiträgen zu erkunden.
Gawan Maringer
Links:
Informationen zum UNPFII :