Immer wieder werden wir — von weißen Europäer*innen — gefragt, warum wir die „politisch unkorrekte“ Bezeichnung „Indianer“ im Namen unseres Vereins „Arbeitskreis Indianer Nordamerikas“ tragen. Wir bevorzugen zwar den Ausdruck „Indigene“, stehen aber nach wie vor zu unserem Vereinsnamen und wir haben kein schlechtes Gewissen, wenn uns hin und wieder „Indianer“ über die Lippen kommt.
Wir haben 7 gute Gründe, warum das so ist. Diese 7 Gründe erfahren Sie in diesem Beitrag. Und zum Schluss des Beitrags haben wir 2 Tipps, falls Sie, liebe Leserin, lieber Leser, für eigene Zwecke Alternativen für den Begriff „Indianer“ suchen.
Wie es zum Namen „Arbeitskreis Indianer Nordamerikas“ kam
Der Arbeitskreis Indianer Nordamerikas wurde 1981 gegründet. Als es darum ging, einen Namen und ein Logo festzulegen, haben sich unsere „Gründerväter“ und „-Mütter“ mit Indigenen beraten. Unter diesen Indigenen waren von Anfang an namhafte Vertreter, wie etwa Phillip Deere ( Muskogee Creek) oder Larry Red Shirt (Lakota) später dann auch Milo Yellow Hair (Lakota – AKIN Ehrenmitglied) und Arthur Manuel(Shuswap – AKIN Ehrenmitglied), um nur einige zu nennen.
Wir wollten einen Namen wählen, der in aller Kürze das ausdrückt, was wir tun und wofür wir stehen:
Wir sind eine politisch aktive Gruppe von Menschen, die Indigene in Nordamerika in ihren Anliegen unterstützt und Aufklärung und Medienarbeit im deutschsprachigen Raum bietet.
Hier also unsere sieben guten Gründe in absteigender Reihenfolge, beim Namen „Arbeitskreis für Indianer Nordamerikas“ zu bleiben, wobei Grund 1 seit Gründung des Vereins der wichtigste für uns ist:
Indianer sind keine Inder
Im Englischen ist „Indians“ die Bezeichnung für das deutsche Wort „Indianer“. Und „Indians“ bedeutet sowohl Indianer als auch Inder.
Eine Verwechslung des Begriffs ist also sehr leicht möglich, wenn man nicht weiß, in welchem Kontext dieses Wort verwendet wird.
Nicht so im Deutschen: Indianer und Inder sind 2 verschiedene Begriffe, eine Verwechslung ist ausgeschlossen.
Indianer — ein positiv besetzter Begriff
Auf unserer Webseite veröffentlichen wir vorwiegend Artikel in deutscher Sprache und unser Zielpublikum ist deutschsprachig. Wie in Grund 7 erwähnt ist eine Verwechslung mit „Indern“ in der deutschen Sprache ausgeschlossen.
Zudem ist die Situation in den USA und in Kanada mit jener in Deutschland, Österreich, Schweiz und im übrigen Europa nicht vergleichbar.
So mag vielen in den USA oder in Kanada „Indians“ — oder „Indio“ in den spanischsprachigen Teilen von Südamerika — ein als von Vorurteilen und Rassismus geprägtes Bild vermitteln. Im deutschsprachigen Raum ist das nicht der Fall. Niemand kann behaupten, dass der Begriff „Indianer“ herabwürdigend sei, ganz im Gegenteil. Gerade im deutschsprachigen Raum sind „Indianer“ hoch angesehen. Die Nachwirkungen der Bücher Karl Mays mögen ein wichtiger Grund dafür sein, aber nicht der Einzige.
Das Klischeebild der „Indianer“ bedient die Sehnsucht in unserer schnelllebigen, sich rasch ändernden Zeit nach dem „Ursprünglichen, Wahren, Echten, Natürlichen“. Sprüche — angeblich von „Indianern“ — mit dem Bild eines federgeschmückten Mannes, werden unhinterfragt in den Sozialen Medien verbreitet. Schwitzhütten- und andere „indianische“ Zeremonien sollen die verlorene Verbindung zum „Ursprünglichen“ wiederherstellen. „Echte“ Indianer werden als begehrte Seminarleiter weitergereicht und ihren Aussagen als Offenbarungen andächtig gelauscht.
Wir sehen unsere Aufgabe als Verein, diesem Klischeebild entgegen zu wirken. Das positive Bild, das im deutschsprachigen Raum Indigenen aus Nordamerika vorausgeschickt wird, hilft uns beim Anknüpfen an unsere Anliegen und ist gleichzeitig oft ein Hindernis, um diese Anliegen anlassgerecht zu vermitteln.
Wir wollen verstanden und gefunden werden
Der Name unseres Vereins lautet „Arbeitskreis Indianer Nordamerikas“. Wenn man in Google oder in einer anderen Internet-Suchmaschine nach „Indianer“ sucht, findet man uns.
Wer würde uns finden, wenn wir uns „Arbeitskreis Indigener Nordamerikas“ (wäre die korrekte Bezeichnung in den USA, aber nicht in Kanada) oder „Arbeitskreis Erste Nationen Nordamerikas“ (wäre die korrekte Bezeichnung in Kanada, aber nicht in den USA) nennen würde. Die Internet-Domains müssten dann wohl lauten „www.arbeitskreis-indigene-nordamerikas.at“ — oder vielleicht auch „www.arbeitskreis-erste-nationen-nordamerikas.at“.
Wie viele Menschen im deutschsprachigen Raum würden anhand eines der beiden Namen verstehen, mit welchem Thema sich unser Verein befasst? Und wie viele würden uns im Internet finden? Genau: wenige, zu wenig.
Wenn niemand versteht, was du machst, solltest du an deiner Kommunikation arbeiten. Wirst du im Internet nicht gefunden, bist du im Internet nicht existent. Wenn wir nicht verstanden und nicht gefunden werden, ist unsere Arbeit sinnlos. Daher: Wir wollen verstanden und gefunden werden!
Ja, wir sind politisch
Ja, der Begriff Indianer ist derzeit „politisch“ nicht mehr ganz korrekt. In 10 Jahren wird vielleicht der Begriff „Indigenous Peoples“ oder „First Nation“ unkorrekt sein. (Man denke, welche Wandlung der vor nicht allzu langer Zeit politisch korrekte Begriff „Schwarze“ durchgemacht hat.)
Wir sind eine politische aktive Gruppe. Wir wollen verstanden und gefunden werden und wir scheuen uns nicht, einen derzeit „politisch unkorrekten“ Begriff für unsere Arbeit zu verwenden. Ja, manchmal müssen wir erklären, warum wir den Begriff „Indianer“ verwenden. Aber damit kommen wir ins Gespräch und in interessante Diskussionen, ganz nach dem Spruch: „Über’s Reden kommen die Leut’ z’samm“.
Wir wollen diskutieren, aufklären, Barrieren abbauen, Verständnis und gegenseitigen Respekt erwirken. Und ganz ehrlich: die Verwendung von „Indianer“ hilft uns dabei.
Der Begriff „Indianer“ ist zutiefst diskursiv politisch und spannungs-umwoben. Einerseits wurde er von den Kolonialmächten erfunden und tausenden indigenen Völkern der Amerikas aufgezwungen. Dieser alle unterschiedlichen Nationen vereinende Begriff trägt dazu bei, diese zu stereotypisieren, zu dehumanisieren und zu dominieren.
Andererseits hat genau diese Fremdzuweisung die Indigenen in ihrem Widerstand geeint, sie in ihrem Kampf bekräftigt um sich gemeinsam gegen die koloniale Unterdrückung zur Wehr zu setzen. Sie haben sich den Begriff „Indianer“ zu eigen gemacht, sich ihn als Symbol des gemeinsamen politischen Widerstands neu kreiert. Insbesondere in diesem Sinne wollen auch wir unsere Verwendung des Begriffs „Indianer“ verstanden wissen.
Der Kontext ist wichtig
Wie schon erwähnt, wird der Sammelbegriff „Indianer“ nie im deutschsprachigen Raum, wohl aber im englischen und spanischen Sprachraum („Indian“, „Indio“) vielfach in negativer Weise und abwertend verwendet.
Abgesehen von diesen sprachlich-kulturellen Unterschieden, ist in jedem Fall ganz allgemein der Kontext wichtig, in welchem ein Begriff verwendet wird.
Unsere „indianischen“ Freunde sagen, wenn sie sich im Gespräch auf sich und ihre Angehörigen beziehen, einfach „we Indians“ und haben sich noch nie daran gestört, wenn wir dies ebenso tun.
Wenn es etwa um Kommunikation geht – also jemanden, die/der nicht aus der Menschenrechtsszene um Indigene stammt, klarzumachen, worum es geht, was wir machen (z.B. Gründe 5–7 oben) – dann handelt es sich um einen unproblematischen Kontext.
In einem offizielleren Kontext, zB in unseren Beiträgen, Aussendungen und auch in Vorträgen verwenden wir bevorzugt die Bezeichnung „Indigene“.
Dennoch stehen wir nach wie — wie oben erwähnt — zu unserem Vereinsnamen
Die „Indianer“ tun’s auch
Wir dürfen hier Monika Seiller, die Leiterin unserer Schwesternorganisation Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte in München und Herausgeberin der Zeitschrift Coyote zitieren:
Die wichtigste politische Bewegung der Indigenen in den USA war und ist das American Indian Movement, die erste NGO, die einen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen erhielt, war der bis heute äußerst aktive International Indian Treaty Council (der Interessen der indigenen Völker des gesamten amerikanischen Kontinents vertritt), die erste nationale indigene Tageszeitung der USA ist bis heute „Indian Country Today“, das erste und wichtigste Filmfestival indigenen Filmschaffens ist das „American Indian Filmfestival“, die erste nationale Vereinigung der Indigenen Kanadas war die „National Indian Brotherhood“ und die jüngste Selbstzeichnung „NDN“ spricht sich im Englischen ebenfalls als „Indian“ aus. Die zuständige Behörde in den USA heißt „Bureau of Indian Affairs“, die Regionen, in denen die Indigenen leben, heißen im amerikanischen Sprachgebrauch als feststehender Begriff „Indian Country“.
Die nationale Interessensvertretung der Indigenen in den USA ist der „National Congress of American Indians“ (https://ncai.org).
Viele anerkannte indigene Nationenbezeichnungen in den USA und in Kanada haben „Indian/s“ im Namen – hier eine Auswahl:
USA:
- Blackfeet Tribe of the Blackfeet Indian Reservation of Montana
- Delaware Tribe of Indians
- Fort Apache Indian Reservation
- Gila River Indian Community
- Kiowa Indian Tribe
- Lower Sioux Indian Reservation
- Northern Cheyenne Indian Reservation
- Oneida Indian Nation
- Ponca Tribe of Indians of Oklahoma
- Southern Ute Indian Reservation
- Turtle Mountain Band of Chippewa Indians
- Winnemucca Indian Colony of Nevada
- Yavapai-Prescott Indian Tribe
Kanada:
- Lubicon Lake Indian Nation
- Bridge River Indian Band
- Cheam Indian Band
- Sechelt Indian Band
- Red Rock Indian Band
Was sagen die „Indianer“ dazu?
Wir sprechen über ein Thema, das uns als Europäer und hauptsächlich Weiße gar nicht direkt, persönlich und unmittelbar betrifft. Was sagen jene dazu, die es tatsächlich betrifft? — also die „Indianer“, Angehörige der „Indigenous Peoples of America“ bzw. der „First Nation“?
Lassen wir dazu den Ojibwe Schriftsteller, David Treuer, zu Wort kommen, der Anfang 2019 sein Buch „The Heartbeat of Wounded Knee. Native America from 1890 to the Present“ im Riverhead Books Verlag herausgebracht hat. Gleich auf der ersten Seite schreibt er:
Throughout this book, I use the word ‚Indian‘ to refer to indigenous people within the United States. I also use „indigenous“, „Native“ and „American Indian“.
These terms have come in and out of favour over the years, and different tribes, not to mention different people, have different preferences. The Red Lake Nation refers to itself as the „Home of the Red Lake Band of Chippewa Indians“, for example.
Many Native people prefer to describe themselves in their Native languages: Pikuni for Blackfeet, Ojibwe for Chippewa, and so on.
My own choices of usage are governed by a desire for economy, speed, flow, and verisimilitude.
A good rule of thumb for outsiders: Ask the Native people you’re talking to what they prefer.
In diesem Buch verwende ich das Wort „Indianer“, um mich auf indigene Völker in den Vereinigten Staaten zu beziehen. Ich benutze auch „indigen“, „Eingeborener“ und „amerikanischer Indianer“.
Diese Begriffe sind im Laufe der Jahre in und aus der Gunst gefallen, und verschiedene Stämme, ganz zu schweigen von verschiedenen Menschen, haben unterschiedliche Vorlieben. Die Red Lake Nation bezeichnet sich selbst zum Beispiel als „Heimat der Red Lake Band of Chippewa Indians“.
Viele Ureinwohner ziehen es vor, sich in ihren Muttersprachen zu beschreiben: Pikuni für Blackfeet, Ojibwe für Chippewa und so weiter.
Meine eigenen Nutzungsentscheidungen werden von dem Wunsch nach Wirtschaftlichkeit, Geschwindigkeit, Fluss und Wahrhaftigkeit bestimmt. Eine gute Faustregel für Außenstehende: Fragen Sie die Ureinwohner, mit denen Sie sprechen, was sie bevorzugen.
David Treuer, Ojibwe Schriftsteller
Und hier die Worte von Michael Paul Hill, politischer Aktivist für die Rechte indigener Völker, Mitglied der San Carlos Apache in Arizona, Reservats-Rechtsanwalt, angewandter Anthropologe und Medizinmann, der mit unserem Arbeitskreis Indianer Nordamerikas seit vielen Jahren über seine politische Tätigkeit verbunden ist:
We call each other „Ndn“ and have no problem with it. Each nation has its own name in its own language. We Apaches call ourselves „Ndee“ or „Nnee“, which simply means „people“.
Why should the Working Group Indians of North America name itself differently? Everyone knows what is meant by this and that this association is trying to help indigenous people in North America enforce their rights. So stick to your name!
Wir selbst nennen uns gegenseitig „Indn“ und haben kein Problem damit. Jede Nation hat in seiner eigenen Sprache die Bezeichnung für sich. Wir Apachen nennen uns „Ndee“ oder „Nnee“, was einfach „Menschen“ bedeutet.
Warum soll der Arbeitskreis Indianer Nordamerikas sich anders benennen? Jeder weiß, was damit gemeint ist und dass dieser Verein versucht, Indigenen in Nordamerika bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu helfen. Also bleibt bei eurem Namen!
Michael Paul Hill, San Carlos Apache, politischer Aktivist, Reservats-
Rechtsanwalt, angewandter Anthropologe und Medizinmann
2 Tipps: Alternativen zu „Indianer“
Zum Abschluss haben wir noch 2 Tipps für Sie, wenn Sie nach einer Alternative für den Begriff „Indianer“ suchen.
Tipp 1: Fragen Sie Betroffene
Wenn Sie in Kontakt mit Indigenen sind, dann fragen Sie unbedingt ganz einfach höflich danach, wie diese gerne bezeichnet werden wollen. Sie werden vielleicht den Nationen-Namen genannt bekommen oder die Bezeichung in der jeweils eigenen Sprache. Damit erweisen Sie Respekt und sind immer auf der „sicheren Seite“.
Tipp 2: Recherchieren Sie nach den „korrekten“ Eigenbezeichnungen
Wussten Sie, dass es hunderte verschiedene indigene Nationen in Nord- und Südamerika gibt? – teilweise mit ganz unterschiedlicher Geschichte, Kultur und Sprache? Begriffe wie Indigene / First Nation / Indianer vermitteltet den Eindruck einer Einheitlichkeit, jedoch ist nichts weiter weg von diesem Bild als die Wirklichkeit.
Um dieser Tatsache gerecht zu werden, empfehlen wir, selbst zu recherchieren. Vor allem Indigene in Nordamerika sind heute vielfach im Internet präsent — mit Webseiten und auf Social Media. Herauszufinden, wie Angehörige einer bestimmten Nation bezeichnet werden wollen, ist also relativ einfach. Verwenden Sie dann diese Namen, wenn Sie sich auf bestimmte indigene Nationen beziehen.