Dies ist eine gemeinsame Stellungnahme der „European Alliance for the Self-Determination of Indigenous Peoples“ und der „Europe for Peltier Coalition“ zum aktuellen Gesundheitszustand und den Haftbedingungen des berühmtesten politischen Gefangenen der USA.
Seinen 80. Geburtstag wird Leonard Peltier, der Lakota-Anishinabe-Aktivist des American Indian Movement, am 12. September 2024 einmal mehr hinter hohen Mauern eines US-Hochsicherheitsgefängnisses feiern (Federal Prisoner #89637–132 in USP Coleman I, Florida). Mit großer Sorge blicken wir auf sein Schicksal; noch zu Jahresbeginn hofften wir, dass der seit 1976 inhaftierte „Prisoner of Conscience“ endlich freikommt. Diese Hoffnung wurde weltweit durch zahlreiche weitere Menschenrechtsgruppen geteilt. Doch nachdem die U.S. Parole Commission die Haftentlassung auf Bewährung (parole) und das Federal Bureau of Prisons die Haftentlassung aus humanitären Gründen (compassionate release) kurz vor Peltiers 80. Geburtstag abgelehnt haben, befürchten wir, dass Peltier
seine Inhaftierung nicht überlebt.
Peltier feiert seinen 49. Geburtstag hinter Gittern
Wir wissen aus Jahrzehnten langer Auseinandersetzung mit dem Fall Peltier, dass genau dies das erklärte Ziel des FBI ist, wobei die US-Polizeibehörde bis heute das Narrativ von „Peltier als kaltblütigen, reuelosen Killer“ wiederholt. Jedoch gibt es bis heute keinerlei seriöse Beweise, dass Peltier für den Tod der bei einem Schusswechsel im Jahr 1975 ermordeten FBI-Agenten Jack Coler und Ronald Williams verantwortlich ist. Die juristischen Zweifel an der Schuld Peltiers und dessen anhaltender Inhaftierung sind in der Tat erheblich: Das zeigen allein die Stellungnahmen früherer am Verfahren beteiligter Staatsanwälte und Richter. So fordert der damals aufsichtführende Staatsanwalt James Reynold seit vielen Jahren Peltiers Haftentlassung. In einem Brief an U.S. Präsident Joseph Biden schrieb er: „Ich schreibe Ihnen heute aus einer für einen ehemaligen Staatsanwalt seltenen Situation heraus, um Sie zu bitten, die Strafe eines Mannes umzuwandeln, den ich mit hinter Gitter gebracht habe. Ich bin zur Erkenntnis gelangt, dass die Verfolgung und fortgesetzte Inhaftierung von Mr. Peltier ungerecht war und ist. Wir haben nicht beweisen können, dass Herr Peltier persönlich ein Verbrechen im Pine Ridge Reservat begangen hat.“ Und bereits 1991 beschrieb der am Berufungsverfahren beteiligte Richter Gerald Heaney in fünf Punkten seine Zweifel an einem fairen Prozess und faire Taktiken des FBI. Er äußerte zudem seine Überzeugung, dass „das FBI bei der Auslieferung von Peltier aus Kanada und bei den sonstigen Ermittlungen und dem Prozess gegen Peltier unangemessene Taktiken angewandt hat.“
Der Fall Leonard Peltier vor der UNO
Selbst an der UNO in Genf wurden die Zweifel und Mängel an Verfahren und Verurteilung Peltiers vor einer zwanzigköpfigen hochrangigen U.S.-Delegation dargelegt: am 17. Oktober 2023 traf sich die USA anlässlich der Überprüfung der Einhaltung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) mit der Zivilgesellschaft und wurde in dieser Konsultation mit vielen politischen und rechtlichen Missständen in der US-amerikanischen Politik konfrontiert. Zum Fall von Leonard Peltier wurden mehrere Punkte vorgebracht:
- Die Mängel im Prozess, zum Beispiel die verfassungswidrige Nichtzulassung
entlastender Zeugenaussagen und von Argumenten aus dem Robideau / Butler-Verfahren; - die Vorenthaltung von entlastenden Beweisen;
- die Unterschlagung der Ergebnisse von wichtigen Ballistik-Untersuchungen;
- die Unmöglichkeit, Zeugen ordnungsgemäß ins Kreuzverhör zu nehmen;
- die Einschüchterung von Zeugen durch das FBI
- die Beeinflussung von Richter Heany durch einen Besuch des FBI nach dessen Engagement für Peltier 2021
- der Austausch des Bewährungsprüfers Sam Robinson vor dem U.S. Parole
Commission Hearing 1995. Er befand, dass Peltier allein aufgrund der fehlerhaften ballistischen Beweise freizulassen sei; - der ersetzte Bewährungsprüfer verweigerte daraufhin die Freilassung von Peltier.
Diese Punkte haben zur Verurteilung und anhaltenden Inhaftierung von Leonard Peltier beigetragen. Diese und weitere juristische Zweifel formulierte schon 2021 die vom Menschenrechtsrat überwachte UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen in einem 17seitigen Schreiben und kam dabei zum Schluss, dass die Bürger- und Menschenrechte Leonard Peltiers anhaltend verletzt wurden und werden. Nebst erheblichen rechtlichen und beweisrechtlichen Mängeln seiner Verurteilung finden sich in der Schlusserklärung unter den Punkten 85–99 und 101 wichtige weitere Gründe für eine Freilassung:
- das Fehlen eines Entlassungsdatums;
- Unregelmäßigkeiten bei mehreren Begnadigungsanhörungen;
- unzureichende medizinische Versorgung,
- beinahe permanente Lock Downs im Gefängnis USP Coleman I;
- das Ignorieren positiver Haftführung von Peltier;
- die Nichtbeachtung angemessener und notwendiger medizinischer Behandlung;
- die Missachtung seines Alters und seines gravierenden Gesundheitszustands,
- einschließlich des Fehlens jeglicher legitimen Begründung für die Inhaftierung eines alten und kranken Mannes, der aus Mangel an Beweisen für seine Schuld keine Gefahr für andere darstellen kann.
Für eine Demokratie wie die USA herrschen unrühmliche Haftbedingungen
Die soziale Isolation und die ohnehin schlechte gesundheitliche Lage Peltiers hat sich verschärft. Dies vor dem Hintergrund jahrelanger, immer wieder erfolgter Lock Downs, deren Zulässigkeit mehr als zweifelhaft sein sollte – die dadurch bedingten erheblichen Beeinträchtigungen gelten für alle betroffenen Insassen im USP Coleman 1, also auch für Leonard Peltier.
Für ihn als alten und kranken Gefangenen bedeuten diese Ständigen Dauereinschlüsse unter anderem reduzierte Telefon- und Emailkontakte sowie eingeschränkte Möglichkeiten, die Zelle zum Duschen zu verlassen. Freizeit- und Besuchsmöglichkeiten sind ebenso eingeschränkt, dies gilt auch für Anwaltsbesuche.
Die mangelnden Bewegungsmöglichkeiten haben dazu beigetragen, dass die Muskulatur Peltiers geschwächt worden ist; er stürzt viel eher und ist auf eine Gehhilfe angewiesen.
Seine Sehfähigkeit leidet zunehmend. Doch für eine augenärztliche sowie eine
zahnmedizinische Behandlung muss er monatelange Wartezeiten einkalkulieren. Die letzten entsprechenden Behandlungen liegen über ein Jahrzehnt zurück.
Hinzu kommen bei ihm Diabetes, hoher Blutdruck, Schlafapnoe, ein lebensbedrohlich großes Bauchaorta-Aneurysma. 2017 hatte er eine Herz-OP, und 2022 überlebte er eine Covid-Erkrankung. Seit 2011 klagt er über Schmerzen im Prostatabereich, 1986 hatte er einen Schlaganfall und 1995 verblutete er beinahe bei einer dilettantisch durchgeführten Kiefer-OP. Eine einzige, bis heute anhaltende Bilanz des Schreckens, unwürdig eines Staates, für den BürgerInnen- und Menschenrechte ein offenbar höchstes Gut darstellen.
Forderung nach Freilassung nur schon aus humanitären Gründen
Wir, die European Alliance for the Self-Determination of Indigenous Peoples, ein
kontinuierlich arbeitender Zusammenschluss von 7 Organisationen aus 4 europäischen Staaten, und die Europe for Peltier Coalition, eine ebenfalls europaweite Ad-Hoc-Initiative, sehen mit großer Sorge auf den sich rapide verschlechternden Gesundheitszustand Peltiers. So führte die unzureichende Diabetes-Medikation in den letzten Wochen zu Notbehandlungen im Hospital. Zu befürchten ist, dass Peltier zu einem weiteren Fall von „death by incarceration/Tod durch Inhaftierung“ wird, ganz so, wie dies das FBI will. Die ehemalige Special Agentin Coleen Rowley äußerte sich hierzu: „Vergeltung scheint der primäre, wenn nicht der einzige Grund für die Fortsetzung dessen zu sein, was von außen
betrachtet zu einem emotionsgesteuerten Rachefeldzug der ‚FBI-Familie‘ geworden ist.“
Wir bitten daher das U.S. Senate Committee on the Judiciary und das Federal Bureau of Prisons um eine sofortige und umfassende medizinische Versorgung Leonard Peltiers und damit verbunden um eine Verlegung Leonard Peltiers in eine entsprechende Einrichtung ohne Lock Downs.
Wir bitten des Weiteren den Präsidenten der U.S.A, Joseph Biden, um Begnadigung und somit Haftentlassung Peltiers im Sinne einer executive clemency. Sowohl aus straf‑, zivil- und menschenrechtlichen als auch aus humanitären Gründen ist es höchste Zeit, den seit nahezu 49 Jahren inhaftierten Gefangenen freizulassen.
Dies wäre für uns, als VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen aus Frankreich, Österreich, Schweiz, Italien, Spanien, Polen und Deutschland, sowie für hunderttausende von Menschen hier in Europa und Millionen Menschen weltweit ein Geburtstagsgeschenk zu Leonard Peltiers 80. Geburtstag, das Gerechtigkeit und Menschlichkeit miteinander verbindet.
Dr. Michael Koch
Executive Director Tokata-LPSG RheinMain e. V. — Association for the Support of Indigenous Social, Environmental, Cultural & Human Rights Projects & Leonard Peltier Support Group/Germany
Nachsatz Peter Schwarzbauer:
Derzeit bereitet die EU neue Regelungen vor, die es für Haudenosaunee erschweren bzw. unmöglich machen könnte, mit eigenen Pässen in EU-Länder einzureisen. Visa für Haudenosaunee Pässe werden in Zukunft möglicherweise nicht mehr ausgestellt.
[1] Über den Autor: Kenneth Deer ist Mohawk und Mitglied des Haudenosaunee-Komitees (Konföderation der Sechs Nationen/Irokesen Bund) für internationale Beziehungen.
Er ist seit Jahrzehnten an der UNO in diversen Gremien tätig, die für Indigene Völker relevant sind. Überse
[2] Lacrosse ist ein von Indigenen im Osten der USA (vor allem Haudenosaunee) entwickeltes und auch heute noch intensiv gepflegtes Ballspiel ähnlich Hockey, nur mit anderen, netzbespannten Schlägern.
[4] Genf war damals der Sitz des Völkerbundes und ist auch heute einer der drei Standorte der Vereinten Nationen.