September 11

Zum 80. Geburts­tag von Leo­nard Pel­tier: kata­stro­pha­le Haft­be­din­gun­gen und Ver­ach­tung der Men­schen­wür­de

Dies ist eine gemein­sa­me Stel­lung­nah­me der „Euro­pean Alli­ance for the Self-Deter­mi­na­ti­on of Indi­ge­nous Peo­p­les“ und der „Euro­pe for Pel­tier Coali­ti­on“ zum aktu­el­len Gesund­heits­zu­stand und den Haft­be­din­gun­gen des berühm­tes­ten poli­ti­schen Gefan­ge­nen der USA.


Sei­nen 80. Geburts­tag wird Leo­nard Pel­tier, der Lako­ta-Anis­hina­be-Akti­vist des Ame­ri­can Indi­an Move­ment, am 12. Sep­tem­ber 2024 ein­mal mehr hin­ter hohen Mau­ern eines US-Hoch­si­cher­heits­ge­fäng­nis­ses fei­ern (Fede­ral Pri­soner #89637–132 in USP Cole­man I, Flo­ri­da). Mit gro­ßer Sor­ge bli­cken wir auf sein Schick­sal; noch zu Jah­res­be­ginn hoff­ten wir, dass der seit 1976 inhaf­tier­te „Pri­soner of Con­sci­ence“ end­lich frei­kommt. Die­se Hoff­nung wur­de welt­weit durch zahl­rei­che wei­te­re Men­schen­rechts­grup­pen geteilt. Doch nach­dem die U.S. Paro­le Com­mis­si­on die Haft­ent­las­sung auf Bewäh­rung (paro­le) und das Fede­ral Bureau of Pri­sons die Haft­ent­las­sung aus huma­ni­tä­ren Grün­den (com­pas­sio­na­te release) kurz vor Pel­tiers 80. Geburts­tag abge­lehnt haben, befürch­ten wir, dass Pel­tier
sei­ne Inhaf­tie­rung nicht über­lebt.

Pel­tier fei­ert sei­nen 49. Geburts­tag hin­ter Git­tern

Wir wis­sen aus Jahr­zehn­ten lan­ger Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Fall Pel­tier, dass genau dies das erklär­te Ziel des FBI ist, wobei die US-Poli­zei­be­hör­de bis heu­te das Nar­ra­tiv von „Pel­tier als kalt­blü­ti­gen, reue­lo­sen Kil­ler“ wie­der­holt. Jedoch gibt es bis heu­te kei­ner­lei seriö­se Bewei­se, dass Pel­tier für den Tod der bei einem Schuss­wech­sel im Jahr 1975 ermor­de­ten FBI-Agen­ten Jack Coler und Ronald Wil­liams ver­ant­wort­lich ist. Die juris­ti­schen Zwei­fel an der Schuld Pel­tiers und des­sen anhal­ten­der Inhaf­tie­rung sind in der Tat erheb­lich: Das zei­gen allein die Stel­lung­nah­men frü­he­rer am Ver­fah­ren betei­lig­ter Staats­an­wäl­te und Rich­ter. So for­dert der damals auf­sicht­füh­ren­de Staats­an­walt James Rey­nold seit vie­len Jah­ren Pel­tiers Haft­ent­las­sung. In einem Brief an U.S. Prä­si­dent Joseph Biden schrieb er: „Ich schrei­be Ihnen heu­te aus einer für einen ehe­ma­li­gen Staats­an­walt sel­te­nen Situa­ti­on her­aus, um Sie zu bit­ten, die Stra­fe eines Man­nes umzu­wan­deln, den ich mit hin­ter Git­ter gebracht habe. Ich bin zur Erkennt­nis gelangt, dass die Ver­fol­gung und fort­ge­setz­te Inhaf­tie­rung von Mr. Pel­tier unge­recht war und ist. Wir haben nicht bewei­sen kön­nen, dass Herr Pel­tier per­sön­lich ein Ver­bre­chen im Pine Ridge Reser­vat began­gen hat.“ Und bereits 1991 beschrieb der am Beru­fungs­ver­fah­ren betei­lig­te Rich­ter Gerald Hea­ney in fünf Punk­ten sei­ne Zwei­fel an einem fai­ren Pro­zess und fai­re Tak­ti­ken des FBI. Er äußer­te zudem sei­ne Über­zeu­gung, dass „das FBI bei der Aus­lie­fe­rung von Pel­tier aus Kana­da und bei den sons­ti­gen Ermitt­lun­gen und dem Pro­zess gegen Pel­tier unan­ge­mes­se­ne Tak­ti­ken ange­wandt hat.“

Der Fall Leo­nard Pel­tier vor der UNO

Selbst an der UNO in Genf wur­den die Zwei­fel und Män­gel an Ver­fah­ren und Ver­ur­tei­lung Pel­tiers vor einer zwan­zig­köp­fi­gen hoch­ran­gi­gen U.S.-Delegation dar­ge­legt: am 17. Okto­ber 2023 traf sich die USA anläss­lich der Über­prü­fung der Ein­hal­tung des Inter­na­tio­na­len Pakts über bür­ger­li­che und poli­ti­sche Rech­te (ICCPR) mit der Zivil­ge­sell­schaft und wur­de in die­ser Kon­sul­ta­ti­on mit vie­len poli­ti­schen und recht­li­chen Miss­stän­den in der US-ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik kon­fron­tiert. Zum Fall von Leo­nard Pel­tier wur­den meh­re­re Punk­te vor­ge­bracht:

  • Die Män­gel im Pro­zess, zum Bei­spiel die ver­fas­sungs­wid­ri­ge Nicht­zu­las­sung
    ent­las­ten­der Zeu­gen­aus­sa­gen und von Argu­men­ten aus dem Robi­deau / But­ler-Ver­fah­ren;
  • die Vor­ent­hal­tung von ent­las­ten­den Bewei­sen;
  • die Unter­schla­gung der Ergeb­nis­se von wich­ti­gen Bal­lis­tik-Unter­su­chun­gen;
  • die Unmög­lich­keit, Zeu­gen ord­nungs­ge­mäß ins Kreuz­ver­hör zu neh­men;
  • die Ein­schüch­te­rung von Zeu­gen durch das FBI
  • die Beein­flus­sung von Rich­ter Hea­ny durch einen Besuch des FBI nach des­sen Enga­ge­ment für Pel­tier 2021
  • der Aus­tausch des Bewäh­rungs­prü­fers Sam Robin­son vor dem U.S. Paro­le
    Com­mis­si­on Hea­ring 1995. Er befand, dass Pel­tier allein auf­grund der feh­ler­haf­ten bal­lis­ti­schen Bewei­se frei­zu­las­sen sei;
  • der ersetz­te Bewäh­rungs­prü­fer ver­wei­ger­te dar­auf­hin die Frei­las­sung von Pel­tier.

Die­se Punk­te haben zur Ver­ur­tei­lung und anhal­ten­den Inhaf­tie­rung von Leo­nard Pel­tier bei­getra­gen. Die­se und wei­te­re juris­ti­sche Zwei­fel for­mu­lier­te schon 2021 die vom Men­schen­rechts­rat über­wach­te UN-Arbeits­grup­pe für will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen in einem 17seitigen Schrei­ben und kam dabei zum Schluss, dass die Bür­ger- und Men­schen­rech­te Leo­nard Pel­tiers anhal­tend ver­letzt wur­den und wer­den. Nebst erheb­li­chen recht­li­chen und beweis­recht­li­chen Män­geln sei­ner Ver­ur­tei­lung fin­den sich in der Schluss­erklä­rung unter den Punk­ten 85–99 und 101 wich­ti­ge wei­te­re Grün­de für eine Frei­las­sung:

  • das Feh­len eines Ent­las­sungs­da­tums;
  • Unre­gel­mä­ßig­kei­ten bei meh­re­ren Begna­di­gungs­an­hö­run­gen;
  • unzu­rei­chen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung,
  • bei­na­he per­ma­nen­te Lock Downs im Gefäng­nis USP Cole­man I;
  • das Igno­rie­ren posi­ti­ver Haft­füh­rung von Pel­tier;
  • die Nicht­be­ach­tung ange­mes­se­ner und not­wen­di­ger medi­zi­ni­scher Behand­lung;
  • die Miss­ach­tung sei­nes Alters und sei­nes gra­vie­ren­den Gesund­heits­zu­stands,
  • ein­schließ­lich des Feh­lens jeg­li­cher legi­ti­men Begrün­dung für die Inhaf­tie­rung eines alten und kran­ken Man­nes, der aus Man­gel an Bewei­sen für sei­ne Schuld kei­ne Gefahr für ande­re dar­stel­len kann.

Für eine Demo­kra­tie wie die USA herr­schen unrühm­li­che Haft­be­din­gun­gen

Die sozia­le Iso­la­ti­on und die ohne­hin schlech­te gesund­heit­li­che Lage Pel­tiers hat sich ver­schärft. Dies vor dem Hin­ter­grund jah­re­lan­ger, immer wie­der erfolg­ter Lock Downs, deren Zuläs­sig­keit mehr als zwei­fel­haft sein soll­te – die dadurch beding­ten erheb­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen gel­ten für alle betrof­fe­nen Insas­sen im USP Cole­man 1, also auch für Leo­nard Pel­tier.

Für ihn als alten und kran­ken Gefan­ge­nen bedeu­ten die­se Stän­di­gen Dau­er­ein­schlüs­se unter ande­rem redu­zier­te Tele­fon- und Email­kon­tak­te sowie ein­ge­schränk­te Mög­lich­kei­ten, die Zel­le zum Duschen zu ver­las­sen. Frei­zeit- und Besuchs­mög­lich­kei­ten sind eben­so ein­ge­schränkt, dies gilt auch für Anwalts­be­su­che. 


Die man­geln­den Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten haben dazu bei­getra­gen, dass die Mus­ku­la­tur Pel­tiers geschwächt wor­den ist; er stürzt viel eher und ist auf eine Geh­hil­fe ange­wie­sen.


Sei­ne Seh­fä­hig­keit lei­det zuneh­mend. Doch für eine augen­ärzt­li­che sowie eine
zahn­me­di­zi­ni­sche Behand­lung muss er mona­te­lan­ge War­te­zei­ten ein­kal­ku­lie­ren. Die letz­ten ent­spre­chen­den Behand­lun­gen lie­gen über ein Jahr­zehnt zurück.


Hin­zu kom­men bei ihm Dia­be­tes, hoher Blut­druck, Schlaf­apnoe, ein lebens­be­droh­lich gro­ßes Bau­cha­or­ta-Aneu­rys­ma. 2017 hat­te er eine Herz-OP, und 2022 über­leb­te er eine Covid-Erkran­kung. Seit 2011 klagt er über Schmer­zen im Pro­sta­ta­be­reich, 1986 hat­te er einen Schlag­an­fall und 1995 ver­blu­te­te er bei­na­he bei einer dilet­tan­tisch durch­ge­führ­ten Kie­fer-OP. Eine ein­zi­ge, bis heu­te anhal­ten­de Bilanz des Schre­ckens, unwür­dig eines Staa­tes, für den Bür­ge­rIn­nen- und Men­schen­rech­te ein offen­bar höchs­tes Gut dar­stel­len.

For­de­rung nach Frei­las­sung nur schon aus huma­ni­tä­ren Grün­den

Wir, die Euro­pean Alli­ance for the Self-Deter­mi­na­ti­on of Indi­ge­nous Peo­p­les, ein
kon­ti­nu­ier­lich arbei­ten­der Zusam­men­schluss von 7 Orga­ni­sa­tio­nen aus 4 euro­päi­schen Staa­ten, und die Euro­pe for Pel­tier Coali­ti­on, eine eben­falls euro­pa­wei­te Ad-Hoc-Initia­ti­ve, sehen mit gro­ßer Sor­ge auf den sich rapi­de ver­schlech­tern­den Gesund­heits­zu­stand Pel­tiers. So führ­te die unzu­rei­chen­de Dia­be­tes-Medi­ka­ti­on in den letz­ten Wochen zu Not­be­hand­lun­gen im Hos­pi­tal. Zu befürch­ten ist, dass Pel­tier zu einem wei­te­ren Fall von „death by incarceration/Tod durch Inhaf­tie­rung“ wird, ganz so, wie dies das FBI will. Die ehe­ma­li­ge Spe­cial Agen­tin Coleen Row­ley äußer­te sich hier­zu: „Ver­gel­tung scheint der pri­mä­re, wenn nicht der ein­zi­ge Grund für die Fort­set­zung des­sen zu sein, was von außen
betrach­tet zu einem emo­ti­ons­ge­steu­er­ten Rache­feld­zug der ‚FBI-Fami­lie‘ gewor­den ist.“


Wir bit­ten daher das U.S. Sena­te Com­mit­tee on the Judi­cia­ry und das Fede­ral Bureau of Pri­sons um eine sofor­ti­ge und umfas­sen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung Leo­nard Pel­tiers und damit ver­bun­den um eine Ver­le­gung Leo­nard Pel­tiers in eine ent­spre­chen­de Ein­rich­tung ohne Lock Downs.


Wir bit­ten des Wei­te­ren den Prä­si­den­ten der U.S.A, Joseph Biden, um Begna­di­gung und somit Haft­ent­las­sung Pel­tiers im Sin­ne einer exe­cu­ti­ve cle­men­cy. Sowohl aus straf‑, zivil- und men­schen­recht­li­chen als auch aus huma­ni­tä­ren Grün­den ist es höchs­te Zeit, den seit nahe­zu 49 Jah­ren inhaf­tier­ten Gefan­ge­nen frei­zu­las­sen.


Dies wäre für uns, als Ver­tre­te­rIn­nen von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen aus Frank­reich, Öster­reich, Schweiz, Ita­li­en, Spa­ni­en, Polen und Deutsch­land, sowie für hun­dert­tau­sen­de von Men­schen hier in Euro­pa und Mil­lio­nen Men­schen welt­weit ein Geburts­tags­ge­schenk zu Leo­nard Pel­tiers 80. Geburts­tag, das Gerech­tig­keit und Mensch­lich­keit mit­ein­an­der ver­bin­det.


Dr. Micha­el Koch

Exe­cu­ti­ve Direc­tor Toka­ta-LPSG Rhein­Main e. V. — Asso­cia­ti­on for the Sup­port of Indi­ge­nous Social, Envi­ron­men­tal, Cul­tu­ral & Human Rights Pro­jects & Leo­nard Pel­tier Sup­port Group/Germany

Nach­satz Peter Schwarz­bau­er:

Der­zeit berei­tet die EU neue Rege­lun­gen vor, die es für Hau­de­no­sau­nee erschwe­ren bzw. unmög­lich machen könn­te, mit eige­nen Päs­sen in EU-Län­der ein­zu­rei­sen. Visa für Hau­de­no­sau­nee Päs­se wer­den in Zukunft mög­li­cher­wei­se nicht mehr aus­ge­stellt.


[1] Über den Autor: Ken­neth Deer ist Mohawk und Mit­glied des Hau­de­no­sau­nee-Komi­tees (Kon­fö­de­ra­ti­on der Sechs Nationen/Irokesen Bund) für inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen.
Er ist seit Jahr­zehn­ten an der UNO in diver­sen Gre­mi­en tätig, die für Indi­ge­ne Völ­ker rele­vant sind. Über­se

[2] Lacrosse ist ein von Indi­ge­nen im Osten der USA (vor allem Hau­de­no­sau­nee) ent­wi­ckel­tes und auch heu­te noch inten­siv gepfleg­tes Ball­spiel ähn­lich Hockey, nur mit ande­ren, netz­be­spann­ten Schlä­gern.

[3] Der Völ­ker­bund war die Vor­läu­fer­or­ga­ni­sa­ti­on der Ver­ein­ten Natio­nen (UNO).

[4] Genf war damals der Sitz des Völ­ker­bun­des und ist auch heu­te einer der drei Stand­or­te der Ver­ein­ten Natio­nen.



{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Bleibe mit uns in Kontakt und melde dich zu unserem Newsletter an:

Unser „Newsletter“ ist ein Informationsdienst über unsere Tätigkeiten, zu Veranstaltungen, über neue aktuelle und historische Beiträge. 

Informationen zum Datenschutz ➪ Datenschutzerklärung