Januar 25, 2025

Leo­nard Pel­tier darf nach Hau­se

Nach 49 Jah­ren hin­ter Git­tern — Ein Gna­den­akt von Prä­si­dent Joe Biden

Stünd­lich war­te­ten Tara und ich auf eine Nach­richt aus den USA. Mei­ne Toch­ter Tara, 2002 gebo­ren, war sozu­sa­gen mit Leo­nard Pel­tier auf­ge­wach­sen. Seit sie wahr­ge­nom­men hat­te, was ihr Vater, der Jour­na­list, so mach­te, war sie mit dem Namen Leo­nard Pel­tier ver­traut. In der Schu­le erzähl­te sie von ihm, sie nahm an Aktio­nen teil, ver­folg­te die Arbeit an mei­nem Film „I am the Indi­an Voice“, bang­te bei jeder Begna­di­gungs­pha­se, wenn ein Prä­si­dent sein Amt abgab. Als 2016 bekannt wur­de, dass Papst Fran­zis­kus an Prä­si­dent Oba­ma geschrie­ben und um Leo­nards Frei­las­sung gebe­ten hat­te, jubel­te sie. Wer wür­de denn einem Brief des Paps­tes wider­spre­chen? Sei­ne Frei­las­sung war für uns so gut wie sicher.

Doch Barak Oba­ma igno­rier­te die Bit­te des Paps­tes, das FBI stand über dem Hei­li­gen Stuhl. Schon Bill Clin­ton hat­te sich erfolg­reich ein­schüch­tern las­sen, als bekannt wur­de, er nei­ge zu einer Begna­di­gung. Der Druck kam jedoch nicht nur vom FBI, son­dern auch aus den eige­nen Rei­hen: Tom Dash­le, Demo­krat aus South Dako­ta und damals Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der im Senat, stuf­te eine Begna­di­gung als schäd­lich für die Par­tei ein.

Jetzt, neun Jah­re spä­ter, Mon­tag 20. Janu­ar 2025: In weni­gen Stun­den wird ein neu­er US-Prä­si­dent ver­ei­digt wer­den. Neu ist er nicht, er war schon ein­mal da. Neu ist, dass eine vor­be­straf­te Per­son Prä­si­dent wer­den wird. Das Wochen­en­de ist ver­gan­gen ohne die erhoff­te Nach­richt. Es war quä­lend.

Bil­der zie­hen vor­bei: Mei­ne Nacht im Gefäng­nis von Mal­o­ne an der Gren­ze zu Kana­da und das anschlie­ßen­de Ver­hör durch das FBI 1975, als Pel­tier noch in Kana­da weil­te; mei­ne Mit­ar­beit an der pani­nia­ni­schen Zei­tung „Akwe­sas­ne Notes“ hat­te mich ver­däch­tig gemacht. Dann zwei Besu­che im Gefäng­nis in Lea­ven­worth, Kan­sas, zusam­men mit Dick Ban­croft, dem Pho­to­gra­phen und AIM-Chro­nis­ten aus Min­ne­so­ta. Leo­nard hat­te uns emp­fan­gen wie ein Gast­ge­ber, der zum Tee ins Wohn­zim­mer ein­lädt. Ihn umgab das Cha­ris­ma eines Men­schen, der sich um ande­re küm­mert. 

Leonard Peltier, 1976

Leo­nard Pel­tier, 1976 (Foto: Public Domain)

Als ich Leo­nard das ers­te Mal sah, wur­de er in Ket­ten her­ein­ge­führt; das war Anfang der 80er Jah­re in einem Gericht­saal in Los Ange­les. Mei­ne ers­te Reak­ti­on damals: Ihn wür­de ich als Baby­sit­ter enga­gie­ren. Als ich Jah­re spä­ter dies gegen­über Nil­ak But­ler erwähn­te, sag­te sie: „Das war ja auch sei­ne Auf­ga­be, sich um die Alten und die Klei­nen zu küm­mern, er war ein War­ri­or, der im Hin­ter­grund agier­te.“ Nil­ak gehör­te 1975, zwei Jah­re nach Woun­ded Knee – sie war 20 Jah­re alt – zu dem Camp in der Nähe des Tat­orts auf dem Reser­vat Pine Ridge, dem Anwe­sen der Fami­lie Jum­ping Bull, auf dem die bei­den Agen­ten Jack Coler und Ron Wil­liams getö­tet wor­den waren. Leo­nard leug­ne­te nie, dabei gewe­sen zu sein. Er leug­net, die Agen­ten erschos­sen zu haben. Er wis­se, wer es war, so sag­te er oft, aber sei­ne Kul­tur und sei­ne Spi­ri­tua­li­tät wür­den es ihm ver­bie­ten, den Namen des Täters zu nen­nen. 

Mon­tag­nach­mit­tag, die Inau­gu­ra­ti­on des Vor­be­straf­ten rückt näher. Plötz­lich, in buch­stäb­lich letz­ter Minu­te die Nach­richt im Netz: Joe Biden ent­läßt Pel­tier in den Haus­ar­rest. Als Datum für das Haf­ten­de nennt das vom Prä­si­den­ten unter­schrie­be­ne Dekret den 18. Febru­ar. Noch vier Wochen. Ich habe Sor­ge, dass die­ser Ter­min vom Bureau of Pri­sons unter büro­kra­ti­schem Vor­wand ver­schleppt wird. Die Greif­zan­gen des FBI rich­ten sich auch dort­hin. Zuvie­le Schi­ka­nen sind vor­aus­ge­gan­gen. Der Agen­tur Asso­cia­ted Press wur­de ein Brief zuge­spielt, den Chris­to­pher Wray, ehe­ma­li­ger Direk­tor des FBI, an Prä­si­dent Biden geschickt hat­te, um die­sen von jeg­li­cher Art von Gna­de abzu­brin­gen. „Einen gna­den­lo­sen Kil­ler frei zu las­sen“, schreibt Wright, sei „eine Belei­di­gung des Rechts.“ 

Haus­ar­rest also, kei­ne Begna­di­gung. Leo­nard ist das nur Recht. Nur Schul­di­ge wer­den begna­digt, so war Jahr­zehn­te sein Argu­ment; er poch­te auf einen neu­en Pro­zess, da sämt­li­che Bewei­se, die zu sei­ner Ver­ur­tei­lung geführt hat­ten, gefälscht waren. Myrt­le Poor Bear, die Frau, die vor­gab, sei­ne Freun­din zu sein und beob­ach­tet zu haben, wie er die Agen­ten getö­tet hat, gab spä­ter zu Pro­to­koll, ihn nicht zu ken­nen und vom FBI zum Unter­schrei­ben der vor­ge­fer­tig­ten Aus­sa­ge gezwun­gen wor­den zu sein. Damit stimm­ten die kana­di­schen Behör­den der Aus­lie­fe­rung zu. Im anschlie­ßen­den Pro­zess, bei dem er zu zwei­mal lebens­läng­lich ver­ur­teilt wur­de, war Myrt­le Poor Bear nicht mehr zuge­las­sen. Es gab kei­nen neu­en Pro­zess, doch wur­de das Urteil man­gels Bewei­se von Dop­pel­mord auf Bei­hilf zum Mord – aiding and abet­ting – modi­fi­ziert. Das Straf­maß wur­de aber bei­be­hal­ten. 

Jetzt, nach 49 Jah­ren, will Leo­nard nach­hau­se, nach Turt­le Moun­tain zu sei­ner Fami­lie. Er ist 80 Jah­re alt und schwer krank. Er braucht ärzt­li­che Für­sor­ge, die Wär­me sei­ner Kin­der, vie­le Zere­mo­nien und jemand, der ihm Fry Bread kre­denzt. Ein Sohn Chaun­cey war zehn, als sein Vater ein­ge­sperrt wur­de. Leo­nard will die Hand auf die Erde legen und über sich den Him­mel sehen. Er will lachen, das hat er nicht ver­lernt; als Dick Ban­croft und ich mit ihm zusam­men saßen, wur­de oft gelacht.

Die Lebens­um­stän­de auf dem Reser­vat Pine Ridge jener Zeit waren lebens­be­droh­lich. Kevin McKi­er­nan, Foto­graf und Jour­na­list, weil­te 1975 auf dem Reser­vat. Spä­ter gab er bei einem Hea­ring eines US-Unter­su­chungs­aus­schu­ßes zu Pro­to­koll, dass ihm der FBI-Ein­satz­lei­ter der Regi­on, anver­trau­te, das Bureau habe in den zwei Jah­ren nach Woun­ded Knee über 2000 Spe­cial Agents auf dem Reser­vat aus­ge­bil­det. Das FBI arbei­te­te eng mit dem Stam­mes­rat, der Stam­mes­po­li­zei und einer neu geschaf­fe­nen, bewaff­ne­ten Trup­pe namens GOONS zusam­men. Auf der ande­ren Sei­te die tra­di­tio­nel­le Bevöl­ke­rung im Schul­ter­schluß mit der Wider­stands­be­we­gung AIM. Es war ein Bür­ger­krieg.

Die Umstän­de des Bür­ger­krieg ließ ein Geschwo­re­nen­ge­richt in Cedar Rapids, Iowa, Bob Rou­bi­deaux und Nil­aks Ehe­mann Dino But­ler 1976 frei­spre­chen. Bei­de gehör­ten neben Pel­tier zu den Gesuch­ten, Pel­tier aber war nach Kana­da geflo­hen. Wäre er mit bei­den zusam­men vor Gericht gestan­den, wäre er wahr­schein­lich mit frei gespro­chen wor­den. 

Die Geschich­te von Leo­nard Pel­tier ist die Geschich­te des Kriegs nach den soge­nann­ten India­ner­krie­gen. Tra­dio­nel­le Wer­te indi­ge­ner Gesell­schaf­ten ste­hen der rück­sichts­lo­sen Pro­fit­ma­xi­mie­rung des US-Kapi­ta­lis­mus im Weg. Unter dem India­ner­land lie­gen begehr­te Boden­schät­ze! Wird die Sou­ve­rä­ni­tät der indi­ge­nen Natio­nen die Bag­ger und Boh­rer auf­hal­ten? „Drill, Baby drill“ ist der Kriegs­ruf der Inva­so­ren. Indi­ge­ne Welt­sicht will die Mut­ter Erde davor bewah­ren. Die Kon­fron­ta­ti­on ist unver­meid­lich. 

Im Juli letz­ten Jah­res hat­te das US-Paro­le Board einen Antrag auf Begna­di­gung abge­lehnt und als nächs­ten Terim 2026 genannt. Was war es wohl, das den Prä­si­den­ten in letz­ter Minu­te aktiv wer­den ließ? Es waren wahr­schein­lich die Boar­ding Schools und die über 3000 toten Kin­der, deren Kno­chen jetzt gefun­den wer­den. Die indi­ge­ne Inne­mi­nis­te­rin Deb Har­land (sie kommt vom Lagu­na Pue­blo) hat­te das The­ma schon län­ger auf sei­ne Agen­da gesetzt. Letz­ten Okto­ber war Joe Biden mit ihr nach Ari­zo­na gereist, um sich bei einem zere­mo­ni­el­len Auf­tritt auf Stam­mes­land für „das Schand­mal ame­ri­ka­ni­scher Geschich­te“ bei den Urein­woh­nern zu ent­schul­di­gen. In allen Vor­be­rei­tungs­tref­fen, so ist jetzt zu ver­neh­men, hat­ten die Stam­mes­ver­tre­ter Leo­nard einen „Boar­ding School Sur­vi­vor“ genannt: einen Über­le­ben­den der Inter­na­te. 

„Solan­ge Leo­nard Pel­tier nicht frei ist, sind wir nicht frei!“ — über Jahr­zehn­te war die­ser Ruf zu hören. Ich erin­ne­re mich, wie der Fil­me­ma­cher Micha­el Moo­re die­se Wor­te 2012 bei einem unver­gess­li­chen Kon­zert mit Har­ry Bel­a­fon­te und Pete See­ger im Bacon Theat­re in New York City ins Mikro­phon rief. Leo­nards „Frei­heit“ kommt zu einem Zeit­punkt, an dem die Frei­heit Aller auf Turt­le Island auf dem Spiel steht.

Claus Bie­gert


Zum Autor:

Claus Biegert

Claus Bie­gert, Jour­na­list, Buch­au­tor, Doku­men­tar­fil­mer, Schwer­punkt: Indi­ge­ne Völ­ker Nord­ame­ri­kas und Uran




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